Linde:Groß, größer, am größten

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Der Münchner Konzern verhandelt mit dem US-Wettbewerber Praxair über eine Fusion. Gemeinsam wären sie die Nummer eins der Welt.

Von Karl-Heinz Büschemann, München

Von Wolfgang Reitzle, dem Aufsichtsratschef der Linde AG, ist bekannt, dass er gerne an der Spitze eines Weltmarktführers steht. Als er noch Vorstandsvorsitzender des Münchner Konzerns war, trug er die Laterne des weltweit größten Industriegasanbieters mit Stolz vor sich her. Als Linde dann unter seinem Nachfolger Wolfgang Büchele die Führungsrolle verlor, war Reitzle ungehalten, so war zu hören. Jetzt arbeitet er als Chefaufseher daran, die Position als Weltmarktführer für den Konzern zurückzuerobern.

Linde und der US-Konkurrent Praxair aus Danbury im US-Bundesstaat Connecticut sprechen über eine Fusion. Das bestätigte Linde am Dienstag. Man befinde sich in "vorläufigen Gesprächen" mit Praxair über "einen möglichen Zusammenschluss". In der Erklärung von Linde ist nicht von Übernahme die Rede, aber der Zufall will es, dass beide zusammen die Nummer eins auf dem Weltmarkt für Industriegas und für medizinische Gase sein würden. Bei Linde ist als Begründung für einen Zusammenschluss zu hören: "Wir wollen Unternehmenswert schaffen."

(Foto: Nicolas Armer/dpa)

Das hält die Börse für möglich. Am Dienstag legten die Linde-Aktien um mehr als elf Prozent zu, jene von Praxair stiegen in New York, kurz vor Handelsschluss lagen sie mit gut drei Prozent im Plus.

Die Deutschen machen mehr Umsatz, verdienen aber weniger als die Amerikaner

Der Umfang des Zusammenschlusses wird mit etwa 30 Milliarden Dollar (27 Milliarden Euro) beziffert, es wäre einer der größeren in der Industrie und der wohl größte in der Gas-Branche. Als Linde vor zehn Jahren ankündigte, den britischen Wettbewerber BOC zu übernehmen, mit dem die Münchner zum Weltmarktführer wurden, lag der Wert des Deals bei zwölf Milliarden Euro. Ähnlich groß war der Kauf des US-Unternehmens Airgas durch den französischen Gaskonzern Air Liquide, der in diesem Jahr vollzogen werden soll.

Aktuell wollen weder Linde noch Praxair verraten, wie weit die Gespräche gediehen sind. Auch naheliegende Fragen wollen sie nicht beantworten: Wer wird die Führung in dem neuen Unternehmen haben, die Deutschen oder die Amerikaner? Wo wird sein Sitz sein? Welche Manager werden die Führungsposten besetzen?

Die Größe beider Unternehmen legt es nahe, dass nicht einer von beiden die faktische Führung übernehmen kann, wie es bei Fusionen oft üblich ist. Linde macht mehr Umsatz, verdient aber weniger als Praxair (siehe Tabelle). Der amerikanische Partner ist deutlich profitabler als Linde. Der eine kann den anderen also nicht einfach schlucken und unterordnen. "Hier reden zwei Spitzenunternehmen miteinander," so ein Vertreter der Gasindustrie.

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg und Reuters (Foto: sz)

Die Branche hat eine Serie von Fusionen und Übernahmen hinter sich. Die vier größten Gaskonzerne der Welt sind der momentane Marktführer Air Liquide aus Frankreich, Linde sowie Praxair und Air Products and Chemicals aus den USA. Zusammen haben sie einen Weltmarktanteil von schätzungsweise zwei Dritteln. Deswegen ist auch anzunehmen, dass sich die Wettbewerbsbehörden in den USA und in Brüssel herausgefordert fühlen, sollten Linde und Praxair offiziell den Zusammenschluss anstreben. Der Linde-Praxair-Plan hat das Zeug, den Wettbewerb in der Branche zu schmälern. Die Nachrichtenagentur Bloomberg zitiert einen Analysten mit den Worten: "Die Wettbewerbshürden sind ebenso klar wie die wirtschaftliche Logik." Der größere Anbieter werde die meisten Vorteile haben. Aber es würde auch die Verringerung des Wettbewerbs bedeuten.

Linde und Praxair wollen auf der einen Seite Kosten sparen und Synergieeffekte nutzen, wie aus den Unternehmen zu hören ist. Sie werden aber auch auf die Vorteile setzen, die sich daraus ergeben, dass ein großer Wettbewerber weniger auf dem Markt ist.

In der Branche wird nun spekuliert, wie das künftige Unternehmen aussehen könnte. Da die Börsenwerte beider Konzerne etwa gleich groß sind, liegt es nahe, dass der fusionierte Konzern kein deutsches Unternehmen sein wird und auch nicht nach den Regeln von Linde geführt werden kann, an dessen Spitze der heutige Linde-Vorstandsvorsitzende Wolfgang Büchele stehen würde. Die Planungen laufen offenbar auf ein Führungsmodell nach angelsächsischem Vorbild hinaus, in dem es einen Chief Executive Officer (CEO) geben wird, eine Position, die dem eines deutschen Vorstandsvorsitzenden entspricht. Und es wird in dem einstufigen Leitungsgremium einen Präsidenten geben, der - anders als ein deutscher Aufsichtsratschef - auch in das operative Geschäft eingreifen kann. Diese Aufgabe wäre sehr passend für den ehrgeizigen Wolfgang Reitzle. Der Posten des CEO könnte von einem Praxair-Vertreter übernommen werden.

Reitzle, der von 2003 bis 2014 Vorstandschef von Linde war und das Unternehmen erst zum reinen Gaskonzern und dann mit der Übernahme von BOC zum Weltmarktführer machte, war zuletzt mit der Entwicklung bei Linde unzufrieden. Nach der vorgeschriebenen Abkühlungsphase von zwei Jahren durfte er Mitte Mai diesen Jahres den Posten des Aufsichtsratschefs von Linde übernehmen. Er soll sich auch über seinen Nachfolger Büchele kritisch geäußert haben. Zuletzt war im Unternehmen zu hören, Reitzle hätte mit Büchele seinen Frieden gemacht.

© SZ vom 17.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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