Lebensmittel-Lieferanten:Zittern vor Amazon

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Der Markt für Lebensmittel-Lieferanten wächst rasant. Der deutsche Anbieter Hello Fresh wagt nun den Sprung an die Börse - doch wenn Amazon kommt, wird wieder alles anders.

Von Michael Kläsgen, München

Es gibt wenige Dinge, die im Moment so angesagt sind wie Lebensmittel-Lieferdienste. Wer keine Lust oder keine Zeit hat, in den Supermarkt um die Ecke zu gehen, der hat in deutschen Großstädten inzwischen die Wahl zwischen Eatclever oder Lekkerei, Lieferando oder Deliveroo, Freshfoods oder Lieferheld, der vielleicht noch etwas günstiger ist. Überall sind sie aufgepoppt, die Essenslieferanten. "Convenience" heißt das Schlagwort: Bequemlichkeit. Der gestresste Büroangestellte will es wenigstens am Abend gemütlich haben. "Im Onlinehandel mit Lebensmitteln gibt es immer neue, interessante Ansätze, aber das Geschäft hebt bisher in Deutschland nicht richtig ab, jedenfalls nicht im großen Stil", sagt Thomas Täuber, Geschäftsführer für Einzelhandel der Beratungsfirma Accenture.

Hello Fresh ist die Rocket-Internet- Bude, die genau das jetzt will: abheben. Das Berliner Start-up möchte an die Börse. Es ist die erste Beteiligung des Internet-Konzerns Rocket nach dem eigenen Sprung aufs Parkett, das die Berliner an die Frankfurter Börse bringen. Dabei macht Hello Fresh hohe Verluste. Nach den ersten neun Monaten dieses Jahres lagen sie bei 58 Millionen Euro. Allein das Marketing ließ sich das Start-up 70 Millionen Euro kosten. Stände auf dem Berliner Hauptbahnhof, überall Onlinewerbung, Gutscheine bei Bestellungen, Hello Fresh nervte manche Blogger mit seiner Präsenz.

Angeblich soll das erst vor vier Jahren gegründete Unternehmen 2,6 Milliarden Euro wert sein, so viel wie die weltweit viertgrößte Container-Reederei Hapag-Lloyd, die ihrerseits vor einem Börsengang zurückschreckt. Dabei hat der Lieferant gerade einmal 537 000 Abonnenten, die sich einmal pro Woche mit "Kochboxen" beliefern lassen. In denen finden sich frische Zutaten wie Gemüse und Obst, Gewürze und dazu passende Rezepte. Aber auch viel Verpackungsmüll. Die Bewertung erscheint da sehr hoch. New Economy schlägt hier klar Old Economy.

Britische Unternehmen fürchten um den Nachschub. (Foto: Thomas Peter/Reuters)

Hello Fresh und die Samwer-Brüder, die Gründer von Rocket Internet, spekulieren darauf, von dem gegenwärtigen Hype um die Essenslieferei in neue Höhen getragen zu werden. Der bislang schwächelnde Aktienkurs von Rocket stieg prompt nach der Ankündigung um zeitweise mehr als fünf Prozent. Und Hello Fresh erhofft sich, mithilfe des Börsengangs Geld für weiteres Wachstum einzuspielen. Bald soll es mehr Auswahl geben, was die Lebensmittel und die Mengen angeht. Aber auch die Lieferzeiten sollen flexibler werden, kündigte Vorstandschef und Mitgründer Dominik Richter an.

Hinter der Tatsache, dass sich immer mehr Menschen das Essen vorgekocht, zubereitet, roh, frisch, aber auf jeden Fall verpackt nach Hause liefern lassen, verbirgt sich ein Milliarden-Geschäft. Und das selbst in Deutschland, im Land der Pfennigfuchser, wo der Preiskampf im Supermarkt Alltag ist. Nach einer aktuellen Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) kommt der Onlineanteil im Lebensmittelhandel gerade einmal auf schlappe 1,2 Prozent. Doch von dieser winzigen Prozentzahl darf man sich nicht täuschen lassen. Umgerechnet bedeutet das: Die Bundesbürger geben bereits heute etwa 2,6 Milliarden Euro für Lebensmittel im Internet aus. Dabei fängt alles gerade erst an. "Der Onlinehandel mit Lebensmitteln wird auch in Deutschland kommen", prophezeit Accenture-Berater Täuber. "Ein Marktanteil von mehr als fünf Prozent in fünf Jahren ist nicht unwahrscheinlich."

Derzeit bringen sich alle in Stellung. Noch ist es nicht so verrückt wie in den USA, wo Einzelhändler Walmart angeblich bald die Einkaufstüte per Drohne zum Kunden fliegen lassen will. Die weltweit größte Supermarktkette hat jedenfalls bei der US-Luftfahrtbehörde einen Antrag gestellt, die fliegenden Lieferanten testen zu dürfen.

In Deutschland zittern sie alle vor Amazon Fresh. 2016 könnte der US-Alles-Lieferant auch Obst und Gemüse vor die Haustür bringen. In den USA tut er das bereits seit 2007, damals noch beschränkt auf die Stadt Seattle. Inzwischen kurven die Fesh-Laster auch durch England. Lisa Byfield-Green, Analystin beim Handelsinstitut IGD, ist sich sicher: "Der Online-Primus wird die Art, wie wir Lebensmittel bestellen, verändern." Amazon werde versuchen, sich fest in den Haushalten zu etablieren.

Einer Studie zufolge kauft der Durchschnittsdeutsche stets mit Merkzettel ein und hat selten Spaß im Supermarkt. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Bei Aldi Süd zeigt man sich angesichts dieses Szenarios betont cool. Das Geschäft könnte am extrem "preissensiblen" deutschen Kunden scheitern. Den Kostenaufschlag für Kühlung, Lagerung und Lieferung würde hierzulande nicht so leichtfertig goutiert. Gleichzeitig probt Aldi aber selbst den Onlinehandel mit Lebensmitteln in Großbritannien. Die Erfahrungen dort könnten fürs eigene Land noch einmal nützlich werden. "Wenn Amazon tatsächlich mit Fresh an den Start geht, werden die Karten neu gemischt. Dann müssen die anderen nachziehen. Aldi und Lidl haben hier noch die besten Voraussetzungen, weil sie zentral organisiert sind", sagt Täuber.

Hello Fresh gibt zwar vor, dass seine Rivalen eher die Restaurants seien und nicht so sehr die Discounter oder Supermärkte. Aber in Wahrheit mischt das Start-up im gleichen Markt mit. Das Pech von Hello Fresh, aber auch Amazon könnte sein, dass die Margen wegen des dauerhaften Preiskampfes so gering sind, dass sich das Geschäft einfach nicht lohnt.

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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