Lebensmittel im Internet:Online profitabel

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Ein Lagerhaus von Ocado: Der britische Online-Supermarkt erzielt Gewinne – anders als Amazon Fresh. (Foto: Mauritius)

Es ist der bislang einzige reine Internet-Supermarkt, der wirklich Geld verdient: Ocado aus Großbritannien. Die neue Offensive von US-Konkurrent Amazon Fresh sehen die Briten als Chance.

Von Björn Finke, London

Das Geheimnis des Erfolges befindet sich in einer fünfstöckigen Halle von der Größe dreier Fußballfelder. Dieses Lagerhaus am Rande der Kleinstadt Andover, 100 Kilometer westlich von London, hat der britische Internet-Supermarkt Ocado Ende vergangenen Jahres eröffnet. Dort werden Bestellungen in Kisten verpackt und in Lieferwägen verladen. Das börsennotierte Unternehmen wickelt die Order seiner etwa 600 000 Kunden in drei solcher Verteilzentren ab, aber der graue Klotz in Andover ist der modernste. Roboter sausen dort mit einer Geschwindigkeit von vier Metern pro Sekunde über Schienen, die wie ein Gitternetz angelegt sind, und greifen und transportieren Waren.

Diese vollautomatischen Lageristen könnten eine "Bestellung in weniger als fünf Minuten zusammenstellen", sagt Vorstandschef und Gründer Tim Steiner - und damit viel schneller als ältere Systeme. Ocado hat Technik und Software selbst entwickelt und patentieren lassen. Andere Supermarktketten können diese Komplettlösung jedoch nutzen, um selbst in den Internethandel einzusteigen - gegen eine Gebühr. Mit diesem Modell hat es Ocado geschafft, profitabel zu werden.

Der amerikanische Internetkonzern Amazon verliert mit seinem Online-Supermarktangebot Fresh bisher Geld. Seit Mittwoch liefert Fresh auch in München Lebensmittel aus. Das Beispiel Ocado zeigt, dass es möglich ist, als reiner Internet-Supermarkt - also ohne Filialgeschäft - erfolgreich zu sein. Aber es war ein langer Weg.

Die Firma aus einem Vorort nördlich von London wurde im Jahr 2000 von drei früheren Bankern des US-Instituts Goldman Sachs gegründet. Sie taten sich dafür mit der schicken britischen Supermarktkette Waitrose zusammen. Ocado bietet seinen Kunden Waren von Waitrose an, ergänzt um einige Produkte, die selbst bei Großhändlern und Herstellern geordert werden. Der entsprechende Vertrag läuft bis 2020. Der Mutterkonzern von Waitrose, John Lewis Partnership, erhielt eine Beteiligung, verkaufte diese jedoch 2011, ein halbes Jahr nach Ocados Börsengang.

Der Internethändler weist erst seit 2014 einen Jahresgewinn aus; vorher hatte das Unternehmen, das inzwischen 12 000 Mitarbeiter beschäftigt, das Geschäftsjahr immer mit Verlusten beendet. Dabei ist Großbritannien in Europa Vorreiter beim Internethandel mit Lebensmitteln und anderen Supermarkt-Produkten. Bereits sechs Prozent des Supermarkt-Umsatzes im Königreich entfallen auf das Onlinegeschäft, 2021 sollen es neun Prozent sein, schätzen Fachleute. In Deutschland liegt der Wert bei einem Prozent.

Statt am Wochenende mit dem Auto zum Riesenmarkt am Stadtrand zu fahren, ordern viele Briten lieber über eine Internetseite oder ein Handyprogramm. Obst und Gemüse, Konserven und Wasserkästen, Toilettenpapier und Waschmittel werden dann am Tag darauf von einem Lieferwagen des Supermarktes zur Wohnung gebracht. Und das ab einem bestimmten Bestellwert oft ohne Gebühr. Bei Ocado ist eine Order im Durchschnitt 106,25 Pfund wert, das sind 120 Euro.

Das Problem für den Konzern: Briten können bei allen großen Supermarkt-Ketten im Internet ordern; die Untertanen Ihrer Majestät sind für diesen Service nicht auf den Neuling angewiesen. Einen Lieferdienst aufzubauen, ist teuer. Dass die etablierten Supermärkte sich das leisten können, hängt mit dem höheren Preisniveau im Königreich zusammen. Discounter wie Aldi und Lidl wachsen zwar rasant, aber verglichen mit deutschen Verhältnissen sind sie in Großbritannien immer noch schwach - und die Preise in Supermärkten darum allgemein höher.

Ocado rivalisiert deswegen als reiner Onlinehändler mit großen Supermarkt-Ketten, für die das Internet bloß ein zusätzlicher Vertriebskanal neben ihren Filialen ist. Der Neuling kann die Zahl der Kunden beständig steigern, von 2013 auf 2016 nahm sie um die Hälfte zu. Trotzdem ist Ocados Marktanteil weiterhin klein. Nur 1,4 Prozent des Gesamtumsatzes der britischen Supermärkte entfällt auf die Firma. Branchenführer Tesco kommt auf 27,9 Prozent, der deutsche Angreifer Lidl auf 5,2 Prozent. Seit einem guten Jahr liefert auch Amazon Fresh Lebensmittel im Südosten Englands aus, aber der Marktanteil der Amerikaner ist winzig.

Das Unternehmen wickelt nun Online-Bestellungen für Rivalen ab

Bei aller Konkurrenz ist Ocado aber nun profitabel; im vergangenen Jahr blieben unter dem Strich zwölf Millionen Pfund als Gewinn hängen, ein Prozent des Umsatzes. Dass das Unternehmen seit 2014 kein Geld mehr verliert, hat mehrere Gründe. Zum einen ist mit der Zahl der Kunden der Umsatz gestiegen. Zum anderen senkten bessere Software und Technik in den Lagerhäusern die Kosten. Wichtig war zudem, dass es der Firma 2013 gelang, einen ersten Kunden für ihre Vertriebslösung zu finden. Morrisons, die viertgrößte Supermarkt-Kette des Landes, baute mit Hilfe von Ocado ein eigenes Internetangebot auf, das im Januar 2014 startete. Die Bestellungen der Morrisons-Kunden werden in einem der drei Verteilzentren von Ocado abgewickelt, Software von Ocado steuert das Onlinegeschäft des Rivalen.

Im Juni dieses Jahres verkündete Ocado, dass ein europäischer Einzelhandelskonzern die Software der Briten für seinen Start ins Online-Zeitalter verwenden wolle. Das Unternehmen hofft, die Software und die flinken Lagerhaus-Roboter vielen weiteren Händlern weltweit verkaufen zu können. Vorstandschef Steiner sagt, Ocado werde dabei von Amazon Freshs aggressivem Wachstumskurs profitieren. Der zwinge Händler dazu, selbst Internet-Angebote aufzubauen - und dafür könnten die Firmen Ocados Lösungen nutzen.

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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