Lastwagen:Grüner kühlen

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Flüssiger Stickstoff treibt dieses Kühlaggregat an. Außer dem Gas, aus dem der Großteil der irdischen Atmosphäre besteht, werden keine Abgase freigesetzt. (Foto: PR)

Mehr und mehr Kühllaster sind auf den Straßen, viele verpesten die Luft, eine neue Technik verspricht Abhilfe. Entwickelt hat sie ein Londoner Start-up.

Von Björn Finke, London

Der weiß lackierte Volvo-Kühllaster steht in einer Halle in einem Gewerbegebiet am Rande von London. Unter der Ladefläche, zwischen den Achsen des 18-Tonners, ist ein kleiner Motor montiert. Der Deckel ist abgenommen, zu sehen sind Räder, Keilriemen, viel Aluminium. Das alles treibt die Kühlung an, dank der die transportierten Lebensmittel frisch bleiben. Es ist aber kein gewöhnlicher Motor: Statt mit Diesel läuft er mit flüssigem Stickstoff. Das führt der Laster in einem besonders isolierten Tank mit, der auf der anderen Seite der Ladefläche angebracht ist.

Geht es nach dem Mann, der neben dem Volvo die Finessen dieser Technik erklärt, ist das die Zukunft der Kühlung: "Im kommenden Jahr werden Laster mit unseren Hilfsmotoren in mehreren europäischen Ländern über die Straße rollen", sagt Toby Peters. "Wir starten groß angelegte Praxistests." Peters ist Chef des Londoner Start-ups Dearman. Das Unternehmen mit 55 Beschäftigten hat den Motor entwickelt, der mit flüssiger Luft oder flüssigem Stickstoff funktioniert. Und der den Laderaum des Volvo-Lasters in Dearmans Halle schön kalt hält. Im Jahr 2017 soll das Kühlsystem in den Verkauf gehen und - so der Geschäftsplan - bald 280 Millionen Euro Jahresumsatz erreichen.

Das Prinzip des Dearman-Motors ähnelt dem eines normalen Verbrennungsmotors. Nur dass eben nichts verbrannt wird und daher keine schädlichen Abgase entstehen. Der flüssige Stickstoff wird bei minus 196 Grad im Kühltank des Lasters gelagert. Dieser kalte Treibstoff und eine lauwarme Flüssigkeit strömen in die Kolben des Motors. Der Stickstoff wird durch das Aufeinandertreffen wieder gasförmig - und dehnt sich schnell aus, was den Kolben antreibt. Als Abgas pustet der Motor Stickstoff heraus, einen normalen Bestandteil der Luft.

Der Erfinder Peter Dearman, Mitgründer und Anteilseigner der Firma, tüftelt schon seit Jahrzehnten an Motoren, die verflüssigte Luft oder Stickstoff nutzen. Anfangs motzte er den Motor seines Rasenmähers auf. Jetzt soll seine Idee reif für die Straße sein - und die Luft auf diesen Straßen ein wenig sauberer machen.

180 000 Kühl-Lkws rollen täglich durch Deutschland

Insgesamt rollen nach Berechnungen von Dearman eine Million Kühllaster durch die EU. Deutschland verfügt als größter Staat auch über die größte Flotte: 180 000 Fahrzeuge kutschieren Lebensmittel, Arzneien und anderes Verderbliches über die Autobahn und durch Innenstädte. Oft werden die mächtigen Kühlaggregate von Zusatzmotoren angetrieben, die mit Diesel laufen. Während für Dieselmotoren, die den Laster vorwärts bewegen, strenge Abgasvorschriften gelten, dürfen diese kleinen Hilfsantriebe ganz legal enorme Mengen an Feinstaub und Stickoxiden in die Luft blasen. "Saubere Dieselmotoren fahren also Dreckschleudern herum", sagt Dearman-Chef Peters.

Die Zahl der Kühllaster wird Schätzungen zufolge weltweit weiter steigen, zugleich versuchen Regierungen, das Problem der Luftverschmutzung in den Griff zu bekommen. Hier sieht Peters eine Chance für Dearman-Motoren: Deren Prinzip sei wie gemacht dafür, Kühlungen anzutreiben, sagt er. Der kalte Stickstoff aus dem Tank zwischen den Achsen fließt erst in das Kühlsystem für den Laderaum und von da in den Zusatzmotor. Der erzeugt mithilfe des Stickstoffs Energie, um das Kühlsystem am Laufen zu halten. Statt Feinstaub und Stickoxiden bläst die Maschine harmlosen Stickstoff in die Luft.

Für den Spediteur seien die Betriebskosten fast ein Drittel niedriger, wenn er einen Dearman-Motor für die Kühlung nutze statt eines kleinen Dieselmotors, sagt der Manager. Denn muss gleichzeitig Kälte und Strom erzeugt werden, seien die Antriebe mit flüssigem Stickstoff einfach wirtschaftlicher. "Würde man einen Tesla mit einer Dearman-Maschine antreiben? Sicher nicht", sagt Peters. "Aber für Kühlungen ist unser Motor sehr interessant." Die Firma arbeitet mit Herstellern von Kühlaggregaten für Laster zusammen. Der Verkaufspreis soll ähnlich dem herkömmlicher Diesel-Systeme sein.

Den Stickstoff nachzufüllen, sei kein Problem, verspricht der Chef. Der Fahrer könne bewährte Tanksysteme verwenden. Flüssiger Stickstoff sei ein übliches Industrieprodukt. Spediteure könnten einen Tank am Logistikzentrum aufstellen und sich von Gase-Herstellern wie etwa dem Linde-Konzern beliefern lassen. Neben Dearmans Halle im Gewerbegebiet steht ebenfalls ein großer Stickstoff-Tank.

Gegründet wurde das Unternehmen vor vier Jahren. Investoren steckten 15 Millionen Euro in die Firma, zehn Millionen Euro warb der Betrieb an staatlichem Fördergeld ein. Für seine Technik sieht Peters noch viele andere Möglichkeiten: So habe Dearman Fördergeld bekommen, um im neuen Jahr einen Stickstoff-Motor für den Einsatz in Hybrid-Bussen zu testen, sagt er. Hybridantrieb bedeutet, dass die Fahrzeuge neben einem Diesel- einen Elektromotor haben, dank dessen sie ohne Abgase unterwegs sein können. Jetzt soll der Elektromotor durch eine Dearman-Maschine ersetzt werden, die gleichzeitig Kälte für die Klimaanlage liefert.

Die Frage, wie Kälte umweltfreundlich und wirtschaftlich erzeugt werden kann, sei lange "das Aschenputtel in der Energiedebatte" gewesen, klagt Peters. Fachleute und Politiker diskutierten lieber über Strom und Heizen. "Doch erklärt man Leuten einmal die Bedeutung von Kühlungen und die Folgen für die Umwelt, ist das für die ein Aha-Erlebnis", sagt er. "Dann fällt denen plötzlich auf, wie viele Kühllaster sie auf den Straßen sehen." Ein großer Markt für eine kleine Firma - wenn denn die Praxis-Tests im kommenden Jahr erfolgreich verlaufen.

© SZ vom 02.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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