Kulturgeschichte der Motivation:Jetzt aber los

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Immer gut drauf, immer kreativ und immer voller Energie? Lange Zeit galt die Arbeit nur als Last. Heute gilt sie als schöne Pflicht und als Ausfüllung des irdischen Lebens.

Von Johan Schloemann

Null Bock haben. Den inneren Schweinehund überwinden. Den Arsch hochkriegen. In die Puschen kommen. In die Hände spucken. Sich aufraffen, sich zusammenreißen, sich durchringen . . . Es ist schon ein ziemlich starkes, sehr physisches und animalisches Vokabular, das wir benutzen, wenn wir mit dem Arbeiten loslegen sollen. Oder mit dem ersten Sport im neuen Jahr, jenem asketischen Übergangsritual, das uns jetzt wieder in den Alltag der Arbeitswelt und der Ertüchtigung führen soll.

All die drastischen Ausdrücke sind eine Erinnerung daran, dass der Mensch ursprünglich, im Kampf ums Dasein, seine Tätigkeit nicht als Lust, sondern als Notwendigkeit empfindet. So wird es in der evolutionären Frühzeit gewesen sein, als gejagt, gesammelt, in Hitze und Frost überlebt werden musste - auch wenn die Menschen sicher bald einen gewissen Stolz auf ihre handwerklichen und geistigen Fähigkeiten entwickelten, die sie von den Tieren unterschieden. Die allerfrühesten Artefakte zeigen bereits, dass die Menschen versuchten, dem existenziellen Druck der Natur zu begegnen, indem sie Gegenwelten entwarfen: Schmuck, Kunst, Ornament, Gesang, Erzählung, Gemeinschaft, Religion. Die Suche nach Sinn. Uralte Trinkgefäße sind mit Verzierungen versehen, unnötig zum Trinken, aber schön. So ähnlich wie die Herzen, die wir heute liebevoll in den Milchschaum gedreht bekommen, wenn wir uns in der Arbeitspause einen Cappuccino holen.

Arbeit wird in unserer Zeit positiv bewertet. Trotzdem ist ihr Zwangscharakter nicht verschwunden

Und doch half alles nichts: Lange Zeit war Arbeit vor allem körperliche Arbeit. Und lange Zeit galt sie bloß als Last, nicht als Erfüllung. Die antiken Kulturen, besonders die griechische, werteten die Arbeit extrem ab. Sie sei des freien Mannes nicht würdig, fand man. Nur in Wettkämpfen und im Krieg machte man sich die Hände schmutzig. Sonst mussten andere ran: Sklaven, Frauen, Zuwanderer.

Im Zuge der Neuzeit und dann der Industrialisierung setzte sich eine andere Auffassung durch: Arbeit, Fleiß, Schaffenskraft und Sorgfalt machen den Menschen erst zum Menschen. Die Arbeit tut uns allen und ihm selber gut, sie ist gleichsam eine schöne Pflicht: Befriedigung, Ausfüllung, Zweck des irdischen Lebens. An diesem Punkt waren sich, aus ganz verschiedener Perspektive, Christen, Marxisten und Kapitalisten einig.

Trotz dieser Auffassung, die uns bis heute bestimmt oder mindestens als Ideal gepredigt wird, ist der Zwangscharakter der Arbeit nicht verschwunden. Besonders zeigt sich das an der harten Arbeit, die es ja immer noch gibt, obwohl Bildschirmmenschen das gerne ausblenden: Da sind die Schlachthausarbeiter, die unser Billigfleisch zurechthacken. Die Reinigungskräfte, die morgens um sechs unsere Büros putzen. Die Bauern, deren Milch wir jeden Morgen ins Müsli kippen. Die Möbelpacker, die unsere Sofas in die neue Wohnung tragen. Die Call-Center-Mitarbeiter, die praktischerweise per 24-Stunden-Hotline zu erreichen sind und stets freundlich und höflich bleiben müssen. Die Versandhandlanger, die unsere Expressbestellung auf den Weg bringen. Fragen Sie diese Leute mal, wie es um ihre "Motivation" bestellt ist! Für sie ist das ein allzu feines, ja euphemistisches Wort. Die meisten von ihnen werden antworten: Nun ja, es muss ja sein. Einer muss es ja machen, und ich brauche das Geld. Besser als arbeitslos.

Das heißt aber nun nicht, dass deswegen in den Büros, in den White-Collar-Jobs alles mit Lust und Leichtigkeit von der Hand ginge. Auch wer keine körperliche Arbeit gewohnt ist und nicht in prekären Verhältnissen schuftet, ja, gerade, wer wenig Anfassbares zu tun hat, hat aus seiner oder ihrer Sicht immer wieder große Hürden und Mühen vor sich: eine hohle Präsentation vorbereiten; ein zähes Meeting voranbringen; schwungvoll und fröhlich in den Verkauf gehen, obwohl die Laune und Lage zu Hause ganz anders ist; eine Excel-Tabelle ausfüllen, ohne dass alles vor den Augen zu einem sinnlosen Brei verschwimmt; zündende Ideen für zukünftige Märkte entwickeln, obwohl die Firma im Moment doch recht gut läuft; überflüssige E-Mails von wichtigen E-Mails scheiden, verlogene Berichte an den Kunden schreiben, hirnerweichende Verwaltungsauflagen erfüllen; jeden Tag einen Abteilungsleiter ertragen, der nichts als Paranoia und Uninspiriertheit verbreitet.

Nicht wenige Menschen arbeiten ja ganz gern. Aber die Antriebslosigkeit ist gewissermaßen die Rückseite der Dynamik der Moderne. Je mehr Wohlstand, je mehr Komplexität der Organisation, je mehr Veränderung, je mehr Verfeinerung, je mehr Bequemlichkeit, je mehr Instrumente der Kommunikation, desto näher lauern temporäre oder gar dauerhafte Gefühle der Sinnlosigkeit, Faulheit, Müdigkeit. Obwohl sie ganz unterschiedlichen Epochen und sozialen Zusammenhängen entstammen, sind zwei fiktive Figuren in dieser Hinsicht symbolisch geworden: der "Oblomow" von Iwan Gontscharow (1859), der träge Landadelige, der nicht aus dem Bett kommt; und Bartleby, der Mitarbeiter im Büro eines Rechtsanwaltes in New York aus der Erzählung "Bartleby der Schreiber" von Herman Melville (1853). Bartleby verweigert die Arbeit ebenso wie das Verlassen des Büros - mit der sprichwörtlichen Begründung "I would prefer not to" ("Ich möchte lieber nicht"), einer Aussage, die auf verstörende, entwaffnende Weise eine Wahlfreiheit suggeriert, wo sie eigentlich gar nicht gegeben ist.

Das sind nur skurrile Figuren aus der Vergangenheit? Weit gefehlt. Die Französin Corinne Maier schrieb beispielsweise vor zehn Jahren - etwa gleichzeitig, als Facebook ans Netz ging - einen Weltbestseller darüber, wie man vor dem Computer am Schreibtisch eines Großunternehmens möglichst wirksam Betriebsamkeit vortäuschen kann: "Von der Kunst, bei der Arbeit möglichst wenig zu tun". Die Literatur weiß es eben seit dem neunzehnten, Film und Fernsehen ("The Office"!) wissen es seit dem zwanzigsten Jahrhundert: Das Büro ist immer auch ein absurder Ort.

Wie aber bekämpft man die Trägheit? Was sind die Widerstände? Unter welchen Voraussetzungen tut man freiwillig das, was man tun sollte? Wie entsteht so etwas wie ein Arbeitsethos? Dafür liefern die hier folgenden Seiten viele Ideen, Anregungen und Erfahrungen. Zugleich stehen dahinter tief greifende Probleme, die den freien Willen, die Natur des Menschen, des Handelns und das Funktionieren von Organisationen betreffen, Fragen, die Philosophen, Psychologen, Soziologen seit dem Altertum beschäftigt haben, Aristoteles etwa, Immanuel Kant oder Max Weber.

Um aber nicht in der Ideengeschichte zu versinken, hat man mit Blick auf das Wirtschaftsleben versucht, schematisch zwei Wege zu unterscheiden. Diese beiden Wege korrespondieren auch grob mit zwei verschiedenen Menschenbildern und zwei Formen der Arbeitsorganisation. Nach dem amerikanischen Managementprofessor Douglas McGregor (1906-1964), der am Massachusetts Institute of Technology (MIT) lehrte, nennt man diese beiden Ansätze die "X-Theorie" und die "Y-Theorie". McGregor legte sie - anschließend an Arbeiten des Psychologen Abraham Maslow - im Jahr 1960 in einem Buch mit dem schönen Titel "The Human Side of Enterprise" dar - "Die menschliche Seite des Unternehmens".

Die X-Theorie sieht den Menschen als arbeitsscheu an. Die Y-Theorie geht vom engagierten Mitarbeiter aus

Die X-Theorie sieht den Menschen als prinzipiell arbeitsscheu an. Er tut nur, was man ihm sagt. Also muss eine Firma hierarchisch und kontrollorientiert strukturiert sein. Aufgabenbereiche, Leistungserwartung und Verantwortung sind engstens abgesteckt. Sonst läuft gar nichts. Die Y-Theorie geht im Gegenteil von engagierten, interessierten Menschen aus, die sich in der Arbeit verwirklichen wollen. Damit sie sich zugunsten des Unternehmens entfalten können, wird darauf geachtet, ihnen Freiräume für Kreativität und die Übernahme eigener Verantwortung zu schaffen. So führt die Autonomie des Mitarbeiters zum Ziel, nicht seine Disziplinierung.

Hell erleuchtet: Wer regelmäßig mehr als zwei Stunden in der Zeit zwischen 23 Uhr und sechs Uhr im Dienst ist, gilt als Nachtarbeiter. (Foto: Martin Gerten/dpa)

Diesen Übergang von präzisen Arbeitsaufträgen hin zu einer allgemein positiven Arbeitsatmosphäre, die mit amerikanischem Optimismus und guter Laune die Produktivität steigern soll, hat der Schriftsteller Heinrich Böll bereits 1958 in seiner Satire "Es wird etwas geschehen" wunderbar parodiert. Ein Chef namens Wunsiedel verbreitet da in ständigen Appellen so viel fröhliche Tatkraft, dass der Inhalt der Arbeit ganz aus dem Blick gerät. Trotz solcher Gefahren hat sich bekanntlich die Y-Variante durchgesetzt: Wenigstens nach dem proklamierten Selbstverständnis, gern auch "Philosophie" genannt, gilt heute in den meisten Firmen - ganz besonders in wissensbasierten, innovativen und "weicheren" Branchen - die Annahme, dass selbständiges und kommunikatives Arbeiten zugleich mehr Spaß macht und mehr Ertrag bringt.

Wenn das überall so liefe, dann müsste man sich um die Motivation keine Sorgen mehr machen. Doch hat die freiere, kreativere, teamorientierte Arbeitsatmosphäre eigene Tücken. Erstens verschwinden Hierarchien und Abhängigkeiten ja nicht einfach, indem man sie wegschauspielert oder den Chef duzt. In Wahrheit laufen immer noch sehr viele Arbeitsabläufe nach dem Muster Befehl und Gehorsam ab.

Das zweite Problem ist subtiler. Kritische Soziologen, allen voran der Amerikaner Richard Sennett und der Franzose Alain Ehrenberg, haben gezeigt, dass die vermeintliche Emanzipation des kreativen, eigenverantwortlichen Mitarbeiters mit einer ausgreifenden "Kultur der Autonomie" einhergeht, die einen ganz neuen Stress schafft, selbst im Fall subjektiven Gelingens. Die Arbeit verlagert sich vom Erledigen bekannter Aufgaben hin "zu einem Modell, das sich auf Kompetenzen bezieht und auf das Individuum zentriert ist, das die Initiative ergreift, vielfältige Kenntnisse und kooperative Beziehungen mobilisiert" (Ehrenberg).

Weil aber die dafür nötigen Soft skills jetzt die ganze Persönlichkeit fordern, steht diese eben auch immer ganz zum Einsatz, zur Evaluation. Das Ergebnis ist, laut Alain Ehrenbergs sehr pessimistischer Analyse: "das erschöpfte Selbst". Der Philosoph Byung-Chul Han, ein gegenwärtiger Guru der Systemkritik, spricht von der "Müdigkeitsgesellschaft". Motivationsprobleme bis hin zum Burn-out liegen danach nicht mehr in erster Linie am Arbeitsstress, an Tempo und Pensum, auf das man keine Lust mehr hat, sondern gerade an der Eigenverantwortlichkeit, an flachen Hierarchien, an der Multioptionalität, an der Notwendigkeit zur ständigen, quasi-unternehmerischen Arbeit am Selbst.

Die digitalen Medien lassen sich gewiss auch zur heilsamen Moderation solcher Prozesse einsetzen. Sie haben aber auch das Zeug, den Zwang zur permanenten Selbstoptimierung noch einmal weiterzuschrauben. Körperliche, mentale, fachliche Fitness: Mit smarten Apps, mit virtuellen Knoten im Taschentuch, mit ausgeklügelten Rapportsystemen können wir uns geschickt vormachen, die Kontrolle unseres Privat- und Berufslebens sei selbstgewählt. Jedoch könnte die Folge davon sein, dass wir bei ausbleibender Konditionierung gar nichts mehr aus uns selbst heraus tun und wollen. Und natürlich raubt allein schon die Unfähigkeit zum Ausschalten Kräfte, die wir zur Erholung und zur Lust auf neue Ideen bräuchten.

Für viele allerdings, die jetzt im neuen Jahr wieder jeden Tag zur Arbeit gehen, klingen solche Warnungen sicher allzu düster. Scheinbare Freiheiten sind immer noch besser als Kasernenton. Viele fühlen sich überhaupt nicht als Gefangene eines Versklavungssystems. Sie haben vielmehr das Selbstbewusstsein, dass nicht nur sie einen Job brauchen, sondern dass sie auch gebraucht werden. Manche lassen sich vom unternehmerischen Geist anstecken, manche wissen wenigstens ganz pragmatisch, dass überall mit Wasser gekocht wird, und lassen sich nicht unterkriegen. Und da liegt dann der vielleicht wichtigste Quell der Motivation: Mitmenschen, die eine gesunde Skepsis mitbringen, aber deswegen nicht zu Miesepetern werden. Die trotz allem jeden Morgen sagen: Auf ein Neues.

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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