Kreditversicherung:Wenn der Pleitegeier kreist

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Techniker reinigen die Uhr des Big Ben in London. Seit dem Brexit ist die Gefahr für Firmenpleiten in Großbritannien gestiegen. (Foto: Ben Stansall/AFP)

Mit bestimmten Policen können sich Unternehmen vor der Insolvenz eines Handelspartners schützen. Insbesondere im Ausland und in Risikoländern ist dies ratsam. Aber auch hierzulande könnten die Firmenpleiten zunehmen.

Von Friederike Krieger

Kreditversicherer sind selten in den Schlagzeilen. Wenn man von ihnen hört, sind es meist keine guten Nachrichten: Denn die Gesellschaften sichern Unternehmen gegen das Risiko ab, dass einer ihrer Abnehmer pleitegeht und sie auf offenen Forderungen sitzen bleiben. Mitte Juli 2017 hatten die deutschen Kreditversicherer mit der Kürzung der Deckungslimite für die Lieferanten des Warenhauses Galeria Kaufhof für Furore gesorgt. Der Einzelhandel ist eine der Branchen, die unter verschärfter Beobachtung der Gesellschaften stehen. Verschlechtert sich die Bonität eines Unternehmens, schrauben sie die Höchstgrenze herunter, bis zu der sie Lieferungen an diese Firma versichern. Für den Lieferanten ist das ein Zeichen, dass er vorsichtig sein sollte - und dem Unternehmen nicht mehr so weitreichende Zahlungsziele einräumen oder nicht mehr so viel Ware liefern sollte. "Die Kreditversicherung gibt Mittelständlern Sicherheit, wie weit sie ins Risiko gehen können", sagt Kai Engelsberg vom Kreditversicherungs-Maklerverband Bardo.

Alternativ können Firmen ihre Forderungen auch verkaufen

Für kleine und mittelständische Firmen ist das vor allem bei Lieferungen ins Ausland unverzichtbar. Denn jenseits der Landesgrenzen können sie die Bonität von Geschäftspartnern noch viel schlechter einschätzen als in Deutschland. "Hier hört die Expertise der meisten Mittelständler auf", sagt Jochen Böhm vom Kreditversicherer Coface. Er gehört neben Euler Hermes und Atradius zu den großen Anbietern in Deutschland. Als Risikoländer mit einer erhöhten Gefahr für Firmenpleiten gelten Brasilien und die Türkei, aber auch Großbritannien - wegen des Brexit. "Wir erwarten eine Zunahme der Insolvenzen in Großbritannien", sagt Böhm. Deshalb schaut Coface bei der Absicherung von Forderungen gegenüber britischen Unternehmen inzwischen ganz genau hin. "Wir sind selektiver geworden", sagt Böhm.

Für Mittelständler sei es noch viel wichtiger, sich abzusichern, als für Großkonzerne, glaubt Thomas Langen vom Coface-Konkurrenten Atradius. "Kleinere Unternehmen verfügen über weniger Eigenkapital", sagt er. "Ein Forderungsausfall trifft sie deshalb härter."

Kreditversicherung ist aber für Mittelständler nicht die einzige Möglichkeit, das Risiko eines Zahlungsausfalls loszuwerden. Sie können unbezahlte Rechnungen auch an einen Factoring-Anbieter verkaufen. "Der übernimmt dann auch das Forderungsausfallrisiko", erklärt Langen. Das bietet sich an, wenn das Unternehmen schnell Geld benötigt, weil es einen Liquiditätsengpass gibt oder Wachstum finanziert werden soll. Allerdings ist Factoring teurer als der Abschluss einer Kreditversicherung. Auch bei diesem Geschäft mischen die Kreditversicherer mit. Coface bietet selbst Factoring an. Zudem versichern sich die Factoring-Anbieter. "Factoring ist fast durchgehend kreditversichert", sagt Langen von Atradius.

Die Bedingungen auf dem Kreditversicherungsmarkt sind für die Kunden momentan sehr gut. "Die Preise für Kreditversicherung sind auf einem historischen Tiefststand", sagt Engelsberg vom Maklerverband Bardo. Bei Coface liegt die Mindestprämie bei 1000 Euro pro Jahr, bei Atradius sind es 1200 Euro. "Gleichzeitig ist die Bereitschaft, Risiken zu zeichnen, insbesondere im Inland sowie innerhalb der EU nach wie vor hoch", sagt Engelsberg. Das war nicht immer so. Nach der Finanzkrise 2007 hatten die Kreditversicherer ihre Deckungslimite empfindlich zurückgefahren.

"Die Kreditversicherer sind flexibler geworden", sagt Engelsberg. War es früher nur möglich, alle Forderungen gesammelt zu versichern, lassen sich die Anbieter inzwischen auch auf Deckungen für einzelne Forderungen ein. "Normalerweise können Kreditversicherer Limite jederzeit aufheben, jetzt bieten einige für zwölf Monate unkündbare Limite an", erklärt er.

Eine Neuentwicklung sind auch sogenannte Insolvenzanfechtungspolicen. Sie sind eine Antwort darauf, dass Insolvenzverwalter verstärkt versuchen, Zahlungen von Lieferanten pleitegegangener Unternehmen zurückzufordern - mit der Begründung, dass die Zahlungsunfähigkeit des Abnehmers bereits ersichtlich war. Meist übersteigen die Summen, die der Insolvenzverwalter zurückfordert, die Deckungslimite. "Wir hatten mal einen Kunden mit einem Kreditlimit von 150 000 Euro, der sich einer Anfechtungsklage von 7,5 Millionen Euro gegenübersah", erzählt Böhm von Coface. Für solche Fälle haben die Kreditversicherer Spezialpolicen auf den Markt gebracht.

Zudem haben sie Online-Tools im Programm, die Kunden die Verwaltung der Policen erleichtern. Anders als bei anderen Policen müssen sich Kunde und Kreditversicherer kontinuierlich austauschen. "Eine Kreditversicherung ist keine Versicherung, die man einfach in die Schublade legt und im Schadenfall herauszieht", sagt Ron van het Hof vom Marktführer Euler Hermes. Der Kunde muss jede neue Lieferung dem Kreditversicherer melden - ebenso wie einen Zahlungsverzug seines Abnehmers. Diese Werte kann er dem Versicherer inzwischen über Online-Portale mitteilen, der Kunde erhält sofort Rückmeldung, ob der Anbieter die Lieferung versichert. Oft gibt es Schnittstellen, über die Kunden solche Informationen in ihr Debitorenmanagement einfließen lassen können.

Für das laufende Jahr rechnet Atradius für Deutschland nochmals mit einem leichten Rückgang der Firmeninsolvenzen von 21 500 auf 20 000, doch ob der Trend zu weniger Pleiten anhält, ist unsicher. "Wenn die Zinsen ansteigen sollten, könnte sich die Situation verändern", sagt Böhm von Coface. Die Gefahr: Firmen, die sich noch gerade so mit günstigen Krediten über Wasser halten, könnten dann ins Trudeln geraten. Diese Gefahr sieht auch Makler Engelsberg. "Experten rechnen mit rund 25 000 Unternehmen, die kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehen", sagt er. Eine Schadenwelle wäre auch der Lackmustest für die Kreditversicherer, ob sie die übernommenen Risiken richtig bepreist haben.

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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