Kosten für Privatpatienten:Teurer Besuch bei der Physiotherapie

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Physiotherapeuten helfen Patienten, etwa wenn diese unter Osteoporose leiden und erklären, welche Bewegungen helfen. (Foto: Volker Hartmann/dpa)

Warum sich private Krankenversicherer immer wieder weigern, die vollen Kosten der Behandlung zu übernehmen und wie Patienten reagieren können.

Von Ilse Schlingensiepen

Wenn sich Privatpatienten von einem Physiotherapeuten oder Logopäden behandeln lassen wollen, müssen sie aufpassen - sonst zahlen sie möglicherweise einen Teil der Behandlungskosten selbst. Sie sollten daher mit dem Physiotherapeuten einen Behandlungsvertrag abschließen, der die Vergütung regelt, und ihn dann ihrem privaten Krankenversicherer (PKV) vorlegen.

Erlebt hat das ein Ehepaar aus Gräfelfing. Die Allianz Private Krankenversicherung hat sich geweigert, für eine Behandlung der Frau die vollen Kosten zu übernehmen. Die Begründung des Versicherers: Der Physiotherapeut lag mit seinen Honorarforderungen über der ortsüblichen Vergütung. Mehr als diese ist das Unternehmen aber nicht bereit zu zahlen.

Anders als die gesetzlichen haben die privaten Kassen hier keine Gebührenordnung abgeschlossen

Dafür hat der Ehemann, der vor seinem Ruhestand als Versicherungseinkäufer für einen großen Konzern tätig war, kein Verständnis. Er hat gegen die Kürzung der Rechnung bei der Allianz Kranken protestiert, allerdings ohne Erfolg. Ihn ärgert besonders, dass sich der Versicherer bei seinem Vorgehen auf den Paragrafen 612 des BGH beruft. Danach gilt für geleistete Dienste, wenn keine Vereinbarung über die Bezahlung vorliegt, die übliche Vergütung. Im Verhältnis zwischen Kunden und Krankenversicherer greift dieser Paragraf nach seiner Überzeugung nicht. "Wir haben einen Dienstvertrag mit dem Physiotherapeuten geschlossen, aber nicht mit dem Versicherer", sagt er.

Heinz Christian Esser, Geschäftsführer des Deutschen Verbands für Physiotherapie, betont: "Der Physiotherapeut hat Anspruch auf das, was vereinbart wurde, sonst nur auf das ortsübliche Entgelt." Daran orientierten sich auch die meisten privaten Krankenversicherer. "Das ortsübliche Entgelt kann von Region zu Region variieren, also in den wohlhabenden Vororten von Großstädten höher liegen als in sozial schwächeren Gebieten derselben Großstadt", sagt Esser.

Probleme zwischen Versicherer und Kunden können entstehen, weil es für die sogenannten Heilmittelerbringer - das sind Physiotherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten, Masseure und Podologen - anders als für Ärzte und Zahnärzte keine amtliche Gebührenordnung gibt. Während die gesetzlichen Krankenkassen flächendeckend Gebührenverträge für diesen Bereich abgeschlossen haben, fehlen sie für Privatpatienten, erläutert Esser. "Bei nicht gesetzlich krankenversicherten Patienten können Therapeuten die Preise ihrer Leistungen innerhalb der rechtlichen Grenzen von Sittenwidrigkeit und Wucher frei mit dem Patienten verhandeln."

Die privaten Krankenversicherer sind aber nicht bereit, jeden dieser frei ausgehandelten Preise auch zu bezahlen. "Im Zuge der Kostendämpfung im Gesundheitswesen sind die privaten Krankenversicherer dazu übergegangen, auch die Vergütungsrechnungen von freiberuflichen Physiotherapiepraxen infrage zu stellen", sagt Esser.

Die Allianz hat nach Angaben von Sprecher Franz Billinger im Jahr 2010 für einige Großstädte bei einem unabhängigen Sachverständigeninstitut Gutachten über die ortsüblichen Preise erstellen lassen. "Um die im Jahr 2010 ermittelten Behandlungspreise aktuell zu halten und bestimmte Marktentwicklungen abzufedern, berücksichtigen wir seit September 2015 die Inflationsrate", sagt er. In den meisten Versicherungsverträgen der Allianz Private Krankenversicherung sei der Umgang mit Rechnungen von Heilmittelerbringern geregelt. Beim Tarif, den die Frau aus Gräfelfing vor Jahren abgeschlossen hat, ist das aber nicht der Fall. Das dürfe nicht zu Lasten der Kunden gehen, findet ihr Ehemann. "Man hätte uns darüber aufklären müssen, dass wir den Behandlungsvertrag hätten vorlegen müssen." Aus den Versicherungsbedingungen gehe es nicht hervor. Was ihn wundert: Er ist bei der DKV krankenversichert, sie hat die Rechnung über Leistungen beim selben Physiotherapeuten anstandslos beglichen. "Ich empfinde das Verhalten der Allianz als Unverschämtheit." Er erwägt, eine Beschwerde an die Finanzaufsicht Bafin zu schreiben.

Die Regulierungspraxis der einzelnen Unternehmen ist unterschiedlich, bestätigt Esser. "Es gibt sogar vereinzelt Versicherungstarife, bei denen Heilmittel ganz ausgeschlossen sind." Privatversicherte sollten deshalb auf jeden Fall prüfen, was ihr Vertrag vorsieht. Grundsätzlich hält auch Esser den Abschluss eines Behandlungsvertrags und dessen Vorlage beim Versicherer für sinnvoll. Nach Angaben des PKV-Verbands sind Streitigkeiten über die Erstattung dieser Leistungen eher selten. "Unseres Wissens erfolgt in der Praxis sehr häufig eine Orientierung an den beihilfefähigen Höchstsätzen schon bei der Abrechnung der Physiotherapeuten selbst, dann gibt es überhaupt keine Diskussionen", sagt ein Sprecher. Die beihilfefähigen Höchstsätze sind die Kosten, die der Beihilfeträger, also der Arbeitgeber, bei Beamten und ihren Angehörigen maximal übernimmt. Es sei ein Irrtum, dass diese Obergrenze die Abrechnung bei allen Privatpatienten beschränkt, sagt Esser vom Physiotherapeuten-Verband. "Die beihilfefähigen Höchstbeträge entsprechen ausdrücklich nicht dem ortsüblichen Entgelt." Das habe auch das Bundesinnenministerium klar gestellt. "Je nach Leistungsangebot und Dauer der Behandlung ist der Physiotherapeut ohne Weiteres berechtigt, höhere Vergütungen zu berechnen", sagt Esser.

Wenn sie den Behandlungsvertrag von ihrem Versicherer prüfen lassen, sind Privatpatienten angesichts dieser komplizierten Materie also auf der sicheren Seite.

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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