Korruptionsaffäre bei Siemens:Pierer & Co. müssen gehen

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Im Siemens-Konzern muss sich rasch etwas ändern: Der Ruf der einstigen Verkörperung der Deutschland AG steht auf dem Spiel.

Marc Beise

Es muss Schluss sein, und es ist Schluss. Die Siemens AG, das Weltunternehmen, der Stolz des Exportweltmeisters, die Verkörperung der Deutschland AG, ist mit der Korruptionsaffäre am Ende einer Ära angelangt - einer Ära, in der der Firmenname eindeutig positiv besetzt war, beinahe schon ein Synonym für deutsche Wertarbeit.

Heinrich von Pierer war bis Januar 2005 Vorstands- vorsitzender von Siemens. (Foto: Foto: AP)

Es war dies eine Zeit, die im Jahr 1847 mit dem Ingenieur Werner von Siemens und dem Feinmechaniker Johann Georg Halske begonnen hat, in die sensationelle Erfindungen fielen, die zu Weltgeltung und Welterfolg führten.

Heute arbeiten für den Global Player Siemens, dessen Firmenzentrale in München ist, 475.000 Menschen in 190 Ländern der Erde; sie erwirtschaften einen Umsatz von beinahe 90 Milliarden Euro.

Damoklesschwert über dem ganzen Konzern

Die meisten dieser Mitarbeiter geben ihr Bestes zum Wohle des Unternehmens, einige aber arbeiten mit unlauteren Mitteln - und ruinieren den Ruf des ganzen Konzerns. Die Schwarzgeldaffäre nimmt immer größere Ausmaße an, sie rückt den Mitgliedern der Führungsetage näher und näher - und ein Ende ist nicht abzusehen. Wie ein schwerer nasser Lappen legt sich das Ungemach über das Unternehmen.

Kein Bereich ist mehr sicher. Wer weiß schon wirklich, wer kann noch darauf vertrauen, dass nur in der Kommunikationssparte gelogen und betrogen, geschmiert und kassiert wurde? Misstrauen allüberall.

Dass die Affäre derart außer Kontrolle gerät, hat sich die Führung des Unternehmens selbst zuzuschreiben. Sie mag noch so sehr beteuern, dass sie nun - endlich! - aufklären will, man nimmt es ihr nicht mehr ab.

Zu lange, schon seit vielen Jahren, hat man abgewiegelt, hat Kritiker mundtot machen wollen, hat geschimpft und gedroht. Jetzt sind die Dinge aktenkundig, und das Entsetzen ist groß. Wenn Siemens aus diesem Sumpf einigermaßen geläutert herauskommen will, sind drei Dinge unerlässlich.

Vollständige Aufklärung nötig

Erstens muss der Skandal rückhaltlos und vollständig aufgeklärt werden. Das ist eine Aufgabe auch für Siemens selbst. Markige Worte der Konzernspitze sind nicht genug, zumal wenn sie in manchen Ohren wie Hohn klingen. Mutige und eifrige Staatsanwälte tun ihr Bestes. Sie haben sich über Jahre positioniert, im richtigen Augenblick zugeschlagen und Glück gehabt - weil endlich einmal die Täter der zweiten Reihe ausgepackt haben und ihre Vorwürfe teilweise mit zurückgehaltenen Akten belegen können.

Sichtbar werden nicht Verfehlungen Einzelner, sondern die Auswüchse eines Systems krimineller Energie, wie es einem Weltunternehmen unwürdig ist.

Es ist deshalb richtig, dass das firmenfremde Aufsichtsratsmitglied Gerhard Cromme - der als Namensgeber der Kommission für eine bessere Unternehmensführung selbst einen Ruf zu verlieren hat - durchgesetzt hat, dass der ganze Konzern unter die Lupe genommen wird und nicht nur die derzeit betroffene Sparte.

Zweitens muss sich die ganze Unternehmenskultur ändern. Niemand wird behaupten wollen, dass die Welt aus lauter Engeln bestünde und es Korruption nicht gäbe. Aber die Gesamteinschätzung des Themas in den entwickelten Staaten hat sich über die vergangenen Jahre geändert - und bei Siemens hat man das schlicht nicht merken wollen.

Seit 1999 ist es eben kein Kavaliersdelikt mehr, zu korrumpieren; die Schmiergelder können auch nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden. Staatsanwälte und Börsenaufsichten verfolgen korrupte Unternehmen - wer schmiert und erwischt wird, verliert mehr, als er durch den einen oder anderen Auftrag gewinnt.

In den Führungsetagen wollten viele diese Zeichen nicht sehen. Hier machten einige munter weiter, und wenn einer aufflog, dann wurde er den Strafverfolgern geopfert und mit einer hohen Sonderzahlung ruhiggestellt. Es war ein zynisches Geschäft: lebenslange Versorgung für die ganze Familie gegen Stillschweigen; die Mafia lässt grüßen.

Unternehmenskultur statt Un-Kultur

Das war ein Teil der Siemens-Kultur - ausgerechnet in Zeiten, da in der Konzernwelt das Zauberwort Corporate Social Responsibility Karriere machte und ethisches Verhalten im Unternehmen eingefordert wird.

Drittens müssen nun alle gehen, die für diese Unternehmenskultur Verantwortung tragen. Das ist zunächst und vor allem Heinrich von Pierer. So bitter ein solcher Abgang für einen verdienten Manager wäre, er hatte als Vorstandschef die inkriminierten Vorgänge zu verantworten, und er macht auch als Aufsichtsrat keine glückliche Figur. Als Galionsfigur des Unternehmens ist er nicht mehr zu halten, wohl auch nicht als wirtschaftlicher Chefberater der Bundeskanzlerin.

Ende einer Dienstreise - das muss für alle gelten, die in die Affäre verwickelt sind. Wer Bescheid wusste, wer das kriminelle System unterstützt oder auch nur geduldet hat, wer bei der Kontrolle versagt hat - jeder muss gehen. Das gilt am Ende womöglich auch für den heutigen Vorstandschef Klaus Kleinfeld.

Den Mitarbeitern schuldig

Nur wenn eine gründliche personelle Erneuerung stattfindet, wird Siemens aus der Krise kommen. Das Unternehmen ist es seinen Mitarbeitern schuldig, seinen Aktionären - und allen Akteuren der Wirtschaft, die vom öffentlichen Verfall der unternehmerischen Glaubwürdigkeit ebenfalls betroffen sind.

Die alte Siemens AG ist tot. Die neue ist noch nicht geboren.

© SZ vom 14.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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