Konzerne:Die Last der Vergangenheit

Lesezeit: 3 min

Post, Bahn, Lufthansa, Siemens: Viele Beschäftigte streiken, mindestens demonstrieren sie. Dabei wird nicht um ein wenig mehr Lohn gestritten, sondern um Grundsätzliches. Und davon hängt viel ab.

Von Caspar Busse, München

Rund 20 Mitarbeiter sind aus allen Konzernbereichen zusammengezogen worden und arbeiten jetzt jeden Tag im Post-Tower. Im Lagezentrum kommen alle Informationen über den unbefristeten Streik bei der Deutschen Post an, hier werden die Aktionen koordiniert. Hier wird verzweifelt versucht, den Geschäftsbetrieb weitgehend aufrechtzuerhalten. Am Dienstag befanden sich Post-Angaben zufolge bundesweit knapp 19 700 Mitarbeiter im Ausstand. Das hat Folgen: Etwa jede vierte Briefsendung konnte nicht pünktlich zugestellt werden, das macht insgesamt etwa 15 Millionen Briefe am Tag.

Die Deutsche Post ist kein Einzelfall: Harte Auseinandersetzungen mit den Arbeitnehmervertretern, Demonstrationen oder gar Streiks gibt es derzeit bei mehreren Konzernen. Dabei geht es meistens nicht nur wie in früheren Tarifrunden um ein paar Prozentpunkte mehr Lohn. Es geht in diesen Wochen um Grundsätzliches, um den Versuch, neue Geschäftsmodelle zu etablieren, Traditionen und Privilegien abzuschaffen, die es schon lange gibt. "Das ist viel mehr als der übliche Schlagabtausch", sagt ein Beteiligter.

Management und Arbeitnehmervertreter ringen miteinander. Die einen wollen mehr Flexibilität und niedrigere Löhne, die anderen kämpfen für die Interessen der Beschäftigten und um Besitzstandswahrung. "Gerade die großen Unternehmen, die global tätig sind, müssen die Strukturen ändern und einen Kulturwandel einleiten. Sie sind in einem weltweiten Umfeld aktiv mit internationalen Rahmenbedingungen und internationalem Wettbewerb", sagt Tim Zimmermann, Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants. Je personalintensiver die Unternehmen arbeiteten, desto wichtiger würden solche Themen. "Wenn die deutschen Unternehmen in diesen Auseinandersetzungen nicht hart blieben, bringen sie sich selbst in existenzielle Gefahr", warnt er. Und: Die Konflikte könnten sich demnächst sogar noch verstärken.

Die Fragen lauten: Was kann sich Deutschland noch leisten? Was sind Traditionen und Arbeit wert? Und wie viel Macht haben die Gewerkschaften heute noch?

Deutsche Post

Die Lage bei der Deutschen Post ist inzwischen festgefahren. Gerade erst heizte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi den Streik noch mal an. Die Auseinandersetzung dreht sich um etwa 50 eigene Firmen. Die sogenannte Delivery-Gesellschaften wurden für die Paketzustellung in Deutschland gegründet. Diese stellen Zusteller neu und fest an, zahlen ihnen aber weniger. Nach Angaben der Post erhält ein Paketzusteller nach Haustarif durchschnittlich 17 Euro in der Stunde, wobei die Entgelte zwischen zwölf und 20 Euro variieren. Die neuen Delivery-Firmen zahlen dagegen nur durchschnittlich 13 Euro bzw. zwischen 10,50 und 18 Euro je Stunde, außerdem sind die Arbeitszeiten mitunter länger. Das soll nur für neue Mitarbeiter gelten.

Das Problem: Die Konkurrenten der Post in der Paketauslieferung zahlen noch deutlich weniger, manchmal nur 8,50 bis 9 Euro pro Stunde. Deshalb haben die neuen Delivery-Firmen Zulauf. Die Intention ist klar: Die Post will die Löhne drücken. "Wenn wir so weitermachen, entstehen neue Arbeitsplätze in der Paketzustellung nur noch bei der Konkurrenz", sagte zuletzt Konzernchef Frank Appel.

Die Arbeitnehmer-Vertreter befürchten nicht nur, dass sie dadurch schleichend entmachtet werden. Sie glauben auch, dass das Modell Schule machen und auf andere Konzernbereiche übertragen wird, etwa auf die Zustellung von Briefen oder auf die sogenannte Verbundzustellung, also das gemeinsame Austragen von Briefsendungen und Paketen vornehmlich auf dem Land. In diesen Bereichen arbeiten rund 80 000 Beschäftigte, deutlich mehr als in der reinen Paketzustellung. Die Regelungen für andere Mitarbeiter werden nicht angetastet, betont wiederum die Post.

Lufthansa

Ähnlich verfahren ist die Situation bei der Lufthansa. Konzernchef Carsten Spohr will an die Gehälter vor allem der Piloten, also an die bestehenden großzügigen Regelungen zur Übergangsversorgung und an die Betriebsrenten. Auch die Lufthansa-Piloten verdienen deutlich besser als ihre Kollegen bei konkurrierenden Airlines, wenn auch auf einem anderen Niveau als die Post-Zusteller. Spohr will die Fluggesellschaft umbauen, in eine Billigfluglinie, die Strecken in Europa und zu ausgewählten Fernzielen bedient, und in die klassische Lufthansa, die vor allem über die großen Drehkreuze Frankfurt und München fliegt. Diesen Plänen widersetzen sich die Piloten, die auch keinerlei Einbußen hinnehmen wollen. Nun soll ein Schlichtungsverfahren ein Ergebnis bringen.

Deutsche Bahn

Streiks gab es zuletzt auch bei der Deutschen Bahn. Die Lokführergewerkschaft GDL will unter anderem nicht mehr allein für die Lokführer verhandeln, sondern auch für das übrige Zugpersonal in ihrer Mitgliedschaft. Doch die Deutsche Bahn will das unter allen Umständen verhindern und pocht auf einheitliche Regelungen zur Arbeitszeit und zu anderen Details. Auch hier geht es um Grundsätzliches, Entgeltfragen standen bislang im Hintergrund.

Siemens

Beim Münchner Hightech-Konzern gingen zuletzt Tausende Beschäftigte bei einem bundesweiten Aktionstag auf die Straße, um gegen Jobabbau zu demonstrieren. Konzernchef Joe Kaeser kürzte vor allem in der Herstellung von Gasturbinen Jobs, das Geschäft läuft angesichts der Energiewende sehr schlecht. Aber die Arbeitnehmer wollen mitreden und kritisieren "Margenwahn". Auch hier geht es um Grundsätzliches: Die Arbeitnehmer befürchten einen weiteren Kahlschlag in Deutschland. Kaesers Vorgänger Peter Löscher hatte 2010 mit den Arbeitnehmervertretern eine Vereinbarung geschlossen. Danach verzichtet Siemens in Deutschland unbefristet auf betriebsbedingte Kündigungen. Das Abkommen trägt den schönen Namen "Radolfszell II". Aber so friedlich wie in der Stadt am Bodensee geht es in der deutschen Wirtschaft schon lange nicht mehr zu.

© SZ vom 17.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: