Konjunkur:Amerika am Abgrund?

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Die Serie von schlechten Nachrichten aus Amerika reißt nicht ab. Die Investitionen brechen ein, die Arbeitslosigkeit steigt noch schneller als erwartet.

Holger Schmieding

(SZ vom 14.9.01) Nach den schrecklichen Terror-Anschlägen herrscht an den Weltbörsen Angst, dass die Vereinigten Staaten von der Stagnation in eine Rezession abgleiten und die Weltwirtschaft weiter nach unten ziehen könnte.

Von den Anschlägen gehen zwei wirtschaftliche Risiken aus. Zum einen haben die Täter unmittelbar einen Teil der Wirtschaft getroffen, insbesondere das Finanzgewerbe in New York, der Metropole des Weltkapitals. Dies kann dazu führen, dass die ohnehin schwache Wirtschaftsleistung der USA im dritten Quartal insgesamt leicht sinken wird.

Keine Richtungsänderung

Allerdings lehrt die Erfahrung, dass die Unternehmen Einbußen, die durch Katastrophen oder andere äußere Störungen verursacht werden, in den folgenden Monaten meist wieder aufholen. Der Effekt könnte also das genaue Verlaufsprofil des amerikanischen Konjunkturpfades ändern, aber kaum die Richtung selbst.

Dazu kommt das Risiko, dass Investoren und Verbraucher jetzt gleichzeitig innehalten und somit einen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage einleiten. Aber auch hier lässt die Erfahrung vermuten, dass solch ein Rückschlag zeitlich eng begrenzt bleiben dürfte. Nach dem Bombenattentat von April 1995 in Oklahoma, dem bis dahin schlimmsten terroristischen Akt in den Vereinigten Staaten, war das Verbrauchervertrauen zwei Monate lang zurückgegangen.

Danach legte der Indikator wieder kräftig zu. Insgesamt blieb diese Schwankung im Rahmen des üblichen Auf und Ab des Konsumklimas. Die Konjunktur nahm daran keinen großen Schaden.

Die Anschläge treffen die amerikanische Wirtschaft jetzt mitten in einem Drahtseilakt zwischen Investitionsflaute und dem Ende eines eben noch ungehemmten Konsumbooms. Nachdem die Technologie-Blase im Jahr 2000 geplatzt ist, müssen die Unternehmen, die zuletzt eher zu viel Geld für zu wenig ausgegorene Technologien ausgegeben hatten, für einige Zeit ihre Investitionen einschränken. Da vor allem Technologieunternehmen reihenweise ihre viel zu hoch gesetzten Umsatzziele verfehlen, fallen die Aktienkurse seit Frühjahr 2000.

Wie zu Beginn einer echten Rezession zieht diese Störung mittlerweile immer größere Teile der Wirtschaft in Mitleidenschaft. Zudem schlägt die von Amerika ausgehende Schwäche der Weltkonjunktur jetzt über geringere amerikanische Ausfuhren wieder auf die Vereinigten Staaten selbst zurück.

Vor lauter Sorge um solche Zweitrundeneffekte wird jedoch oft übersehen, dass der eigentliche Grund für die Stagnation der US-Wirtschaft immer mehr an Bedeutung verliert. Die Investitions- und Lagerkorrektur ist seit Ende letzten Jahres rasch vorangekommen. Sie dürfte in diesem Herbst abgeschlossen werden.

Basis für bessere Konjunktur gelegt

Damit ist die Basis für eine bessere Konjunktur gelegt. Die typischen Frühindikatoren der amerikanische Konjunktur haben sich bereits wieder von ihrer Talsohle gelöst.

Seit einem Jahr können die amerikanischen Verbraucher nicht mehr darauf bauen, dass steigende Aktienkurse es ihnen erleichtern, für die Rente oder die Schulausbildung der Kinder zu sparen. Für die Gesamtwirtschaft kommt es darauf an, die Investitionen zu stabilisieren, bevor der an sich wünschenswerte Schwenk der privaten Verbraucher zurück zu einem normalen Spar- und Ausgabeverhalten in einen rezessionsträchtigen Käuferstreik ausarten könnte.

Drahtseilakt

Bisher deuten fast alle Daten darauf hin, dass der Drahtseilakt gelingen wird. Nachdem die amerikanische Zentralbank innerhalb von acht Monaten ihren Leitzins um drei volle Prozentpunkte gesenkt hat, nutzen Häuslebauer die niedrigen Zinsen für Immobilienkredite.

Viele Bürger schulden ihre alten Darlehen zu günstigeren Bedingungen um. Dies verringert ihren Schuldendienst und verschafft ihnen ein Polster, um die schlechteren Aussichten auf dem Arbeits- und Aktienmarkt etwas abzufedern.

Mit ein wenig Glück werden die Amerikaner jetzt der Gefahr entgehen, von den Terroristen auch noch in eine Rezession gestoßen zu werden. Mit einer weiteren vertrauensbildenden Zinssenkung mag die Notenbank in Kürze dazu beitragen.

(Holger Schmieding ist Wirtschaftsberater in London)

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