Konjunktur:Ökonomie der Angst

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Die direkte Wirkung auf die Terroranschläge für die Wirtschaft blieb begrenzt, aber die Unternehmen setzen zunehmend auf Sicherheit.

Nikolaus Piper

(SZ vom 11.09.2002) — Die Terrorangriffe auf das World Trade Center haben neben der menschlichen, der politischen und der militärischen auch eine ökonomische Dimension. Für die betroffenen Firmen waren die Folgen immens - für die Mieter und die Eigentümer der beiden Wolkenkratzer, die Fluggesellschaften und die großen Versicherungen der Welt.

Gesamtwirtschaftlich jedoch fällt der direkte Schaden kaum ins Gewicht: die versicherten Schäden machen etwa 0,5 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts von rund 9,9 Billionen Dollar aus. Das ist eine Größe, die eine leistungsfähige Volkswirtschaft leicht verkraftet.

Mehr noch: Einige nach einer Katastrophe wie dem 11. September 2001 denkbaren Folgeschäden sind ausgeblieben. Als die New Yorker Börse am 17. September wieder öffnete, gab es keine Panik; die Kurse stürzten zwar ab, aber sie fingen sich auf angemessener Höhe, weil die Notenbank Geld in den Markt pumpte - und vielleicht auch, weil die Börsenhändler sich in den ersten Tagen ein wenig von ihrem Patriotismus leiten ließen.

Kein Ökonomischer Isolationismus

Und ein zweiter Faktor: Die patriotische Welle in den USA schlug nicht um in ökonomischen Isolationismus. Amerika ermöglichte im November in Doha den Start einer neuen Welthandelsrunde, der Kongress stattete Präsident George Bush mit der nötigen Generalvollmacht für entsprechende Verhandlungen aus.

Trotzdem hat die Bedrohung durch den Terrorismus die Globalisierung belastet. Der Chefvolkswirt der Investmentbank Morgan Stanley, Stephen Roach, hatte kurz nach den Anschlägen von einer "Steuer" gesprochen, mit der der Terror die internationale Arbeitsteilung belegen werde. Seine Befürchtungen erwiesen sich als übertrieben, aber die indirekten Folgen des Terrors für den Welthandel sind nicht zu vernachlässigen.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat ausgerechnet, dass erhöhte Sicherheit beim Zoll, beim Transport, bei der Abwicklung und der Versicherung von Geschäften zwischen einem und drei Prozent des Handelswertes kosten. Die Last trügen besonders Schwellenländer mit weiten Transportwegen.

Statt Tempo zählt jetzt Sicherheit

Mittelfristig haben die Terroranschläge die Weltwirtschaft nicht gravierend, aber dafür nachhaltig verändert. Am meisten fällt auf, wie sehr sich die Wahrnehmung ökonomischer Zusammenhänge seit dem 11. September gewandelt hat.

Ein Ökonom hat diesen Wandel mit einem schwer übersetzbaren Wortspiel umschrieben: Amerika habe sich von einer just-in-time- zu einer just-in-case-Ökonomie entwickelt, zu einer Volkswirtschaft, in der nicht mehr das Tempo, sondern die Sicherheit im Vordergrund steht.

Damit bekommt vor allem der Staat eine ganz andere Rolle, nicht nur mit Soldaten und Polizisten als Garanten äußerer und innerer Sicherheit, sondern auch als Wahrer ökonomischer Stabilität. Ausdruck dieser Entwicklung ist der amerikanische Staatshaushalt: Nach Jahren der Überschüsse während der Ära Clinton wird das Bundesbudget in diesem Jahr wieder ein Defizit von 1,6 Prozent des BIP erreichen.

Grenzen der Versicherbarkeit offenbart

Das Defizit entsteht durch niedrigere Steuereinnahmen wegen der schlechten Konjunktur, durch höhere Sicherheitsausgaben und durch Steuersenkungen. Das Zusammenwirken von Wahrnehmung und ökonomischer Veränderung zeigt sich besonders bei den Versicherungen.

Für sie waren die Anschläge mit Kosten von 50 bis 60 Milliarden Dollar der bei weitem größte Einzelschaden in der Geschichte; die Zahlen könnten sogar noch steigen, denn der Pächter des World Trade Centers klagt zurzeit vor einem US-Gericht, weil er den Einsturz der beiden Türme als zwei Versicherungsfälle gerechnet sehen möchte.

Einerseits hat sich gezeigt, dass die Versicherungswirtschaft diese Summen problemlos bewältigen kann, andererseits hat der Terrorismus die Grenzen der Versicherbarkeit offenbart. Der Staat ist als Versicherer der letzten Instanz gefordert.

Auch positive Wechselwirkungen

Die Anschläge haben aber auch "die volkswirtschaftliche Funktion von Versicherungen bewusst gemacht", wie es der Chef der Münchner Allianz, Hennig Schulte-Noelle, im vergangenen Herbst formulierte. In der Folge konnten die Versicherungen ihre Prämien kräftig erhöhen, was nicht nur wegen der Anschläge nötig war, sondern weil die Industrieversicherungen insgesamt defizitär gewesen waren. Die Anschläge waren, wenn nicht die Ausrede, so doch der Anlass für eine ohnehin notwendige Preiserhöhung.

Ähnliche Wechselwirkungen gibt es in der Luftfahrt, die von den Folgen der Anschläge am schwersten getroffen wurde. US Airways hat Gläubigerschutz beantragt, der Lufthansa-Partner United Airlines könnte dies noch tun.

Aber das hat nicht nur mit dem 11. September zu tun. Die Branche steuerte schon vor den Anschlägen in eine Krise. Riesige Überkapazitäten aus Boomzeiten mussten abgebaut werden. Ein Ergebnis ist der Aufschwung der Billigflieger.

Risiken schärfer wahrgenommen

Ein letztes Beispiel: In Deutschland sind die Umsätze der Werbebranche nach dem 11. September dramatisch eingebrochen und haben Fernsehsender und Zeitungen in die Krise gestürzt. Zwar gibt es zu den Anschlägen keinen direkten Zusammenhang, aber die politischen und ökonomischen Risiken für den Aufschwung wurden jetzt viel schärfer wahrgenommen.

Die Anschläge haben die US-Wirtschaft am Ende einer kurzen Rezession getroffen. Die Risiken, die danach bekannt wurden, waren ökonomisch ungleich größer: die Enron-Pleite, die Bilanzskandale, die Vertrauenskrise an der Wall Street.

Zusammen aber haben diese Ereignisse eine Ökonomie der Angst begründet, die bis heute anhält. Wahrscheinlich wird sich hier erst dann etwas ändern, sollte feststehen, dass es keinen Krieg gegen den Irak geben wird.

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