Konferenz in Paris:Ein Klima, zwei Welten

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Vor allem die Wirtschaft pocht darauf, dass in Paris gleiche Regeln für alle gelten - sie sieht nicht ein, warum etwa China mit seiner Industrie den Klimaschutz nicht so streng auslegen muss wie Deutschland.

Von Michael Bauchmüller, Paris

Am Dienstag kommt die freundliche Erinnerung von der deutschen Stahlindustrie. "Alle Teilnehmerstaaten müssen vergleichbare Verpflichtungen akzeptieren", sagt Hans Jürgen Kerkhoff, Kopf der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Ein Abkommen ohne China? "Aus unserer Sicht undenkbar", sagt Kerkhoff. Die Differenzierung zwischen den Staaten sei "nicht mehr sachgerecht". Der Industrieverband BDI hatte sich unlängst ähnlich geäußert.

Dummerweise ist sie seit zwei Jahrzehnten geübte Praxis. Schon 1992 zogen die Staaten eine scharfe Grenze zwischen den Industriestaaten und allen weiteren Ländern, die sogenannte Firewall: Verpflichtungen im Klimaschutz übernahmen die reichen Staaten, die anderen dagegen sollten erst einmal weiterwachsen dürfen - inklusive steigender Emissionen. Das ließ sich damals gut begründen: Schließlich hatten die reichen Staaten das Problem verursacht, mit Emissionen aus mehr als hundert Jahren Industrialisierung. Den Pfad zum Wohlstand aber wollten sich die Entwicklungsländer nicht verbauen lassen. So fand die "gemeinsame, aber differenzierte Vereinbarung" ihren Weg ins Kyoto-Protokoll, den ersten großen Klimavertrag. Verhandler sprechen nur von "CBDR", wenn sie diese common, but differentiated responsibilities meinen. Sie ist Teil der DNA jeder Klimakonferenz. Bisher.

In Paris tagt noch immer der Klimagipfel. Am Rande des Veranstaltungsortes zeigen Menschen, was sie sich wünschen. (Foto: Martin Bureau/AFP)

Denn in Paris soll es anders werden. Auch diesmal gibt es gute Argumente: China ist längst kein Entwicklungsland mehr, wohl aber der größte Kohlendioxid-Emittent der Welt. Länder wie Brasilien oder Südafrika produzieren erfolgreich für Weltmärkte. Saudi-Arabien und andere Golfstaaten zählen statistisch zu den reichsten Ländern der Erde, nach der Arithmetik der Klimapolitik aber zu Entwicklungsländern. Europäische Verhandler halten das für einen Anachronismus, der überwunden gehört. "Es gibt eine Verantwortung jedes einzelnen Landes, das zu tun, was möglich ist", sagt Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD).

Von Verantwortung reden zwar alle gern beim Klimagipfel - solange daraus keine Verpflichtung wird. Stattdessen wird der Abschied von der Firewall, auf den die Wirtschaft so sehnlich wartet, zu einem der großen Streitpunkte der Pariser Konferenz.

Am Dienstag treten die Minister Chinas, Indiens, Brasiliens und Südafrikas gemeinsam auf. Die vier bilden zusammen die sogenannte Basic-Gruppe - vier Staaten, die nach der alten Weltordnung noch Entwicklungsländer sind, in der Wirklichkeit aber, von Indien abgesehen, längst weiter sind. "Wir sind vereint und teilen die gleichen Ansichten", sagt Chinas Verhandlungsführer Xie Zhenhua gleich zu Beginn, dann legt der indische Umweltminister Prakash Javadekar nach: "Wir bleiben enttäuscht von den Industrieländern. Sie haben eine historische Verantwortung. Sie müssen die Führung übernehmen."

Das war anders geplant. Erstmals sollen sich schließlich in Paris alle Staaten auf Klimaschutz verpflichten, nahezu alle haben dafür Pläne für die kommenden Jahre vorgelegt. Die einen wollen ihre Emissionen drosseln, die anderen Wälder aufforsten, wieder andere künftig grüner wachsen. Die Pläne sollen den Grundstock legen für ein neues Klimaschutzsystem, in dem alle paar Jahre Soll und Haben der Staaten verglichen werden. Haben sie nicht genug getan, müssen sie nachbessern. Vordergründig finden das alle Staaten gut, auch die vier Minister.

Die Probleme aber stehen in zierlichen eckigen Klammern - lauter Ideen, wie sich die alte Unterscheidung zwischen Industriestaaten und anderen Ländern auch in dem neuen Abkommen aufrechterhalten lässt. "Die Differenzierung wird gerade eingeschleust, wo es nur möglich ist", sagt eine erfahrene Verhandlerin. Sprich: überall dort, wo es um Pflichten geht. "CBDR muss berücksichtigt werden", verlangt etwa Südafrikas Umweltministerin Edna Bomo Molewa. So soll jener Mechanismus, mit dem sich der Klimaschutz alle paar Jahre überprüfen und neu justieren lässt, allein für die Industriestaaten gelten, die seit 1992 schon jenseits der Firewall liegen. Alle anderen sollen mehr Freiheiten haben, was ihre Anstrengungen für den Klimaschutz angeht. Auch bei der Finanzierung des Klimaschutzes in ärmeren Ländern wollen sie Geld vor allem aus der Welt des alten Nordens. Ob Exportkönige wie China auch etwas beisteuern sollen, müssen oder können, ist derzeit Gegenstand einer Debatte, an der Sprachwissenschaftler ihre helle Freude hätten. Das hat sich die deutsche Wirtschaft anders vorgestellt.

Selbst die Frage, ob Industrie- und Schwellenländer ihre Erfolge oder Misserfolge im Klimaschutz gleichermaßen transparent vorlegen müssen, ist längst nicht klar. Bliebe auch hier die Unterscheidung von einst erhalten, dann wären die Pläne vieler Entwicklungs- und Schwellenländer nur halb so viel wert - sie würden mit anderer Elle gemessen. "Wir sind nicht der Auffassung, dass man auf unterschiedliche Weise berichten kann", sagt Hendricks. Drei Tage bleiben noch für die Verhandlungen, entsprechend wächst der Druck. Bis Donnerstagfrüh soll ein neuer Entwurf für das Abkommen vorliegen, mit weniger Streitpunkten. Die Frage der Differenzierung aber dürfte bis zum Schluss bleiben. So könnten am Ende härtere Klimaschutz-Auflagen auch für China, Brasilien und Co. stehen - oder aber das glatte Gegenteil.

© SZ vom 09.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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