Kommentar:Was Merkels Wort zählt

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Gegen das Votum der eigenen Berater hat die Regierung Merkel der Fluggesellschaft Air Berlin Kredit gegeben. Der Steuerzahler müsse sich keine Sorgen machen, versprach Kanzlerin Merkel. Muss er nun aber doch.

Von Ulrich Schäfer

Wenn der Staat ein Unternehmen zu retten versucht, geht die Sache meistens schief. So war es im November 1999, als Gerhard Schröder ein Rettungspaket für den krisengeschüttelten Baukonzern Philipp Holzmann zusammenschnürte, aber das Unternehmen zweieinhalb Jahre später doch pleiteging. Und so war es auch im August 2017, als die Regierung von Angela Merkel der Fluggesellschaft Air Berlin einen Notkredit von 150 Millionen Euro bewilligte, aber von der Fluggesellschaft außer einigen Tausend Schokoherzen nichts übrig blieb. Welch fragwürdige Rolle die Regierung Merkel bei der Zerschlagung von Air Berlin spielte, zeigen nun interne Akten, die der SZ, dem NDR und dem WDR vorliegen. Die Regierungsdokumente offenbaren, wie Kanzleramt, Wirtschafts- und Verkehrsministerium sich im Sommer vorigen Jahres in das Insolvenzverfahren einmischen. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl wollte die große Koalition zentrale Teile von Air Berlin mit aller Macht dem wichtigsten Wettbewerber in Deutschland, der Lufthansa, zuschanzen. Sie war bereit, dafür sehr viel Staatsgeld zu riskieren, und überging dabei die Warnungen ihrer eigenen Berater.

Den Akten zufolge hat eine große Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die Regierung davor gewarnt, den Kredit an Air Berlin zu vergeben. Die Wirtschaftsprüfer zeigten die Gefahr auf, dass das Geld verloren gehen könnte, falls die Kartellbehörden dem Verkauf an die Lufthansa ganz oder teilweise nicht zustimmen würden (und so kam es dann ja auch). Dennoch sagten alle in der Bundesregierung Ja zum Millionenkredit für Air Berlin: Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) und Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Sie alle wollten, dass die größte Fluggesellschaft der Republik, die Lufthansa, die Nummer zwei am Markt, Air Berlin, schlucken kann. Sie alle wollten einen nationalen Champion schaffen, auch auf die Gefahr hin, dass der Wettbewerb im Flugverkehr reduziert wird und die Preise für die Passagiere steigen.

Steuerzahler müssen die Rettung nicht bezahlen, versprach die Kanzlerin. Nun zahlen sie doch

Dass die Regierung die Warnung der eigenen Berater einfach in den Wind geschlagen hat, ist in vielerlei Hinsicht bedenklich, ja, es ist noch bedenklicher als der umstrittene Einsatz von Gerhard Schröder für Philipp Holzmann. Damals half der Staat dem notleidenden Baukonzern bloß mit einer Bürgschaft weiter, den eigentlichen Notkredit aber stellten Banken bereit; diesmal gab der Staat selber das Geld. Im Fall Holzmann ging es zudem darum, das Unternehmen mit seinen Arbeitsplätzen als Ganzes zu erhalten; im Fall Air Berlin hingegen war von Anfang an klar, dass das Unternehmen in seine Einzelteile zerlegt und zerschlagen werden soll - und der Staat half dabei nicht bloß mit, er gab auch noch seinen Segen und obendrein das nötige Geld.

Und noch einen gewaltigen Unterschied gibt es zwischen den beiden verunglückten Rettungsversuchen: Im Fall Holzmann verlor der Staat durch seinen Eingriff kein Geld, die Bürgschaft wurde trotz der Pleite nicht fällig; im Fall von Air Berlin aber wird die Regierung einen größeren Teil ihres Kredits abschreiben müssen. Bislang hat die insolvente Fluggesellschaft nur 66 Millionen der 150 Millionen zurückzahlen können, zehn Millionen Euro könnten noch fließen - aber dann dürfte Schluss sein. Denn es ist genau das eingetreten, wovor die Berater der Regierung im August 2017 gewarnt haben: Die Kartellbehörden, genauer: die EU-Kommission in Brüssel wollte den Verkauf weiter Teile von Air Berlin an die Lufthansa nicht genehmigen, der Deal platzte deshalb größtenteils, und die Lufthansa zahlte statt der erhofften 200 Millionen Euro bloß 22 Millionen Euro an den Insolvenzverwalter - zu wenig, um dem Staat seinen Kredit voll zurückzuzahlen.

Die Geschichte um die Pleite von Air Berlin ist damit um ein weiteres Kapitel reicher. Um ein Kapitel, das ein schlechtes Licht auf die große Koalition wirft, aber auch auf die Kanzlerin. Als Merkel im Wahlkampf gefragt wurde, wie groß die Gefahr sei, dass am Ende der Steuerzahler die Rettung von Air Berlin bezahlen müsse, antwortete sie: "Die ist relativ gering. Sonst hätten wir diesen Überbrückungskredit oder Brückenkredit gar nicht geben dürfen." Die Bundesregierung könne "mit großer, großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass der Steuerzahler das nicht bezahlen muss". Muss er nun aber doch.

© SZ vom 01.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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