Kommentar:Was der Soli vermag

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Die nächste Bundesregierung beginge einen schweren Fehler, würde sie den Solidaritätszuschlag ersatzlos streichen. Wer die wachsende Ungleichheit bekämpfen und Gerechtigkeit schaffen will, braucht auch in Zukunft Geld - und Solidarität.

Von Cerstin Gammelin

Der Soli muss weg! Wie ein Schlachtruf ertönt die Forderung, endlich die Sonderabgabe auf die Einkommensteuer abzuschaffen, seit Jahren in jedem Wahlkampf. Doch nie schien der Wunsch so berechtigt zu sein wie jetzt: Der Solidarpakt zum Aufbau der neuen Bundesländer läuft 2019 aus. Zudem ist viel Geld da, der Bundeshaushalt weist Überschüsse in zweistelliger Milliardenhöhe auf. Beide Argumente sprechen dafür, den Soli zu streichen. Das stimmt, ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Tatsächlich beginge die nächste Regierungskoalition einen schweren Fehler, gäbe sie dem Wunsch einfach nach. Denn die ersatzlose Abschaffung des Soli passt nicht in den gesellschaftlichen Zeitgeist.

Der Zeitgeist ist geprägt durch Debatten um die wachsende Ungleichheit in Deutschland und weltweit, um die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, und die schwindende Mittelschicht. Im Wahlkampf wurde viel geredet über Gerechtigkeit und wie diese mithilfe von Vermögensteuern, Erbschaftsteuern oder höheren Spitzensteuersätzen hergestellt werden könnte. Vor diesem Hintergrund wirkt es beinahe schizophren, wenn im gleichen Atemzug die Abschaffung eines vorhandenen Instruments gefordert wird, das genau diese solidarische, mithin ausgleichende Wirkung zwischen Arm und Reich im Namen trägt - nämlich der Solidaritätszuschlag. Für ihn gilt der Grundsatz: je höher das Gehalt, desto höher die Summe, die der Steuerzahler entrichten muss.

Gerne vergessen wird auch, wer den Zuschlag Anfang der 1990er-Jahre eingeführt hat. Es war die schwarz-gelbe Regierungskoalition unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl - und nicht etwa ein linkes Bündnis. Der Anlass war schlicht. Deutschland war zwar nicht in den Irak-Krieg gezogen, hatte aber versprochen, sich mit den Verbündeten solidarisch zu zeigen und sich an den Kosten zu beteiligen. Im Bundeshaushalt fehlte das Geld, weshalb Kohl gegen den Widerstand des Koalitionspartners FDP den Soli durchsetzte. Später kam der Aufbau Ost dazu, der finanziert werden musste. Aus der temporären Abgabe, die alle Steuerzahler in Ost und West zu zahlen hatten, wurde eine permanente.

Die Freien Demokraten waren stets gegen den Soli. Die Geschichte des Zuschlags ist also zugleich die eines Traumas der FDP, das in der vergangene Sonntagnacht in einem Abbruch der Sondierungsgespräche für ein schwarz-gelb-grünes Bündnis kulminierte. Die FDP hatte vehement für die Abschaffung der Abgabe geworben und dabei die Latte sehr hoch gelegt. Ersatzlos sollte sie gestrichen werden. Bis 2021. Die Forderung wurde zur Koalitionsbedingung stilisiert.

Damit war das Scheitern programmiert. Die FDP hatte die Latte nicht nur hoch gelegt, sondern zu hoch. Denn auf die Abgabe, die zwischen 18 und 20 Milliarden Euro jährlich in den Bundeshaushalt einbringt, ersatzlos zu verzichten, hätte ein riesiges Loch ins Budget gerissen und alle anderen Projekte der möglichen Koalitionspartner unmöglich gemacht. Weil man davon ausgehen darf, dass auch die Experten der FDP die Grundrechenarten beherrschen, bleibt nur eine Schlussfolgerung. Die Partei hatte es darauf angelegt, hoch zu pokern. Sie wollte den Soli komplett abschaffen - oder gehen. Damit hat sie sich selbst aus dem Spiel genommen.

Um die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern, braucht es Geld

Ob das Pokern der Liberalen dem Trauma geschuldet oder einfach Selbstüberschätzung ist, sei dahingestellt. Schade ist, dass sie sich am Ende einem Kompromiss verweigert haben, der auch gesellschaftlich akzeptabel gewesen wäre. Union und Grüne hatten vorgeschlagen, den Soli schrittweise bis 2025 abzubauen. Bis 2021 wollten sie dafür um die vierzehn Milliarden Euro Bundesmittel reservieren. Am Ende dieser Legislatur wären drei Viertel der Steuerzahler befreit gewesen - und zwar jene, die geringere und mittlere Einkommen haben. Weiterhin gezahlt hätten die Steuerzahler mit höheren Einkommen jenseits von rund 50 000 Euro. Die FDP allerdings fühlte sich über den Tisch gezogen, weil es so ähnlich im Wahlprogramm der Union steht.

Sicher ist, dass auch die nächste Koalition vor der Aufgabe stehen wird, die nachvollziehbare Forderung nach steuerlicher Entlastung damit zu verbinden, die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern. So gesehen, haben die Jamaika-Sondierer beim Soli wertvolle Vorarbeit geleistet. Es liegt ein Kompromiss vor, der beiden Anforderungen gerecht wird.

© SZ vom 22.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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