Kommentar:Vier mal und fertig

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Das Bundesverwaltungsgericht hat ein wichtiges Urteil zum verkaufsoffenen Sonntag gefällt. Doch statt Klarheit schafft das Urteil mehr Unsicherheit. Das Gericht hätte die üblichen vier verkaufsoffenen Sonntage zur Norm erklären sollen.

Von Michael Kläsgen

Das Bundesverwaltungsgericht hat ein wichtiges Urteil zum verkaufsoffenen Sonntag gefällt. Das ist zunächst einmal begrüßenswert. Denn die Frage, ob und wann am Sonntag die Geschäfte geöffnet haben dürfen, ist ein Thema, das viele Menschen beschäftigt. Eine bundesweit einheitliche und klare Regelung wäre insofern grundsätzlich wünschenswert gewesen. Doch die liefert das Urteil aus Leipzig nicht. Statt Klarheit schafft es mehr Rechtsunsicherheit.

Der Grund dafür ist, dass die Richter die vom Gesetzgeber geforderte "Anlassbezogenheit" als Voraussetzung für die Sonntagsöffnung noch komplizierter machen. Bislang war es so, dass es für jede Sonntagsöffnung einen Grund geben muss, etwa ein Fest oder eine Veranstaltung. Die Sonntagsöffnung ist zwar Ländersache, aber diese Voraussetzung ist allen gemein. Leider lässt das viel Interpretationsspielraum zu, was manche Kommunen nutzten oder besser: missbrauchten. Einige genehmigten die Öffnung der Läden in der ganzen Stadt, meist auf Druck großer Handelsketten, nur weil in einem Viertel ein kleines Weinfest veranstaltet wurde. Andere Gemeinden waren noch findiger und ließen auf einem Parkplatz eine Band spielen, damit das Möbelhaus nebenan öffnen durfte.

Am besten wäre es gewesen, den vorgeschriebenen Anlassbezug zu kippen

Konsequent wäre es gewesen, wenn das Gericht die Sonntagsöffnung unter Berufung auf den im Grundgesetz verankerten Sonntagsschutz ganz verboten hätte. Das wäre zwar rückwärtsgewandt gewesen und hätte zu einem Eklat geführt, was die Vorstellung unrealistisch macht. Doch dann hätte Klarheit geherrscht. Diese Klarheit hätte das Gericht auch durch die beste aller Lösungen herbeiführen können, indem es den "Anlassbezug" gekippt und die in den meisten Bundesländern üblichen vier verkaufsoffenen Sonntage pro Stadt zur Norm erklärt hätte - ohne irgendeine Voraussetzung. Der Sonntag wäre dabei ausreichend geschützt geblieben.

Doch was tut das Gericht? Es unterbindet die kreative Suche nach einem Anlass zwar zu Recht, indem es besonders hohe Maßstäbe an den "externen Sachgrund" legt, und verknüpft das Ganze noch mit dem "Allgemeinwohl". Als Grund herhalten dürfen fortan nur noch Großveranstaltungen wie Messen oder Volksfeste. Damit schränken die Richter den Interpretationsrahmen zwar ein, sie beseitigen ihn aber nicht, was notwendig gewesen wäre, um Rechtssicherheit zu schaffen. Die Richter untermauern im Prinzip nur die gängige Praxis, die jedoch unbefriedigend ist, weil sie nicht klar festlegt, ob und wann die Geschäfte öffnen dürfen.

Das dies so ist, liegt im Wesentlichen an der Gewerkschaft Verdi und den Kirchen, die die Schwachstelle im Gesetz, nämlich die Anlassbezogenheit, erkannt haben und diese hinlänglich ausnutzen, um sich mit dem Schutz des Sonntags zu profilieren. Allein im vergangenen Jahr kippte Verdi per Klage mehr als 100 bereits geplante Sonntagsöffnungen in ganz Deutschland. Teils geschah das wenige Tage vor dem jeweiligen Datum, für das bereits Mitarbeiter eingeplant, Ware bestellt und Plakate gedruckt waren.

Verdi und die Kirchen klagten wohlgemerkt nicht nur erfolgreich gegen konstruierte Anlässe, sondern kickten auch Sonntagsöffnungen in Frankfurt zur Messezeit und zum Stadtgründungsfest in München weg. Diese Möglichkeit hat ihnen das Bundesverwaltungsgericht leider nicht genommen. Vielmehr hat es beide darin bestärkt, so weiterzumachen. Denn ob eine Messe vor den Toren der Stadt groß genug ist, um zu rechtfertigen, dass in der Innenstadt die Geschäfte öffnen, oder ob ein Gründungsfest in der Altstadt ein guter Grund dafür ist, dem Kommerz Platz zu bieten - kann auch nach dem Urteil so oder so interpretiert werden, vor allem wenn das Allgemeinwohl berücksichtigt werden muss.

Für viele Beschäftigte ist das genauso bedauerlich wie für die Händler. Es ist ja nicht so, dass niemand am Sonntagnachmittag für fünf Stunden arbeiten will. Im Gegenteil: Die Mitarbeiter erhalten dafür Zuschläge, einen freien Tag, und meist sind die Kunden am Sonntag weniger gestresst als an anderen Tagen. Die Kaufhäuser müssen ihrerseits weiter damit leben, dass die Sonntagsöffnung kurzfristig abgeblasen werden kann und dass Kunden vermehrt online oder im benachbarten Ausland einkaufen.

Das Urteil rekurriert allzu einseitig auf den Sonntagsschutz und negiert die Lebenswirklichkeiten vieler Menschen. Dabei ist es doch so, dass niemand am Sonntag einkaufen muss, niemand wird dazu gezwungen. Aber manche möchten vielleicht die Freiheit haben, es zu tun, und sich nicht vorschreiben lassen, wie sie zu leben haben.

© SZ vom 19.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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