Kommentar:Verzettelt

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Der Weltwirtschaft droht ein Handelskrieg mit unabsehbaren Folgen, der IWF könnte helfen. Doch die Organisation verzettelt sich in Nebensächlichkeiten.

Von Claus Hulverscheidt

Dass es ökonomisch vernünftig ist, die Beschäftigung von Frauen zu fördern, gilt unter Ökonomen längst als Allgemeinplatz. Erst jüngst lieferte eine Studie neue Belege: Demnach könnten die USA ihre wirtschaftliche Leistung um fünf Prozent pro Jahr steigern, wenn die Zahl weiblicher Arbeitnehmer der ihrer männlichen Kollegen entspräche. In Japan läge das Plus bei neun, in Indien gar bei unglaublichen 27 Prozent.

Errechnet hat diese Zahlen der Internationale Währungsfonds (IWF), jene einst so umstrittene Institution, die den Kapitalismus weltweit mit der Brechstange einführen wollte und die nie im Verdacht stand, sich der Frauenförderung zu widmen. Wer den IWF heute vorbehaltlos anschaut, stellt fest, dass von der früheren Ignoranz, ja Arroganz, kaum etwas geblieben ist. Längst berücksichtigt der Fonds bei seinen Analysen, welche sozialen Folgen einzelne Empfehlungen und Privatisierungsvorschläge haben könnten. Er forscht zu wirtschaftlicher Inklusion, zu Geschlechtergerechtigkeit, Ungleichheit, Armut und Umweltschutz. Diese Metamorphose, die unter dem einstigen Generaldirektor und späteren Bundespräsidenten Horst Köhler in Gang kam und von der heutigen IWF-Chefin Christine Lagarde vollendet wurde, war gut und richtig - und birgt dennoch eine Gefahr: Die Kernaufgaben, zu denen vor allem die Sicherung von Finanzstabilität sowie die Förderung von Wachstum und Handel gehören, kommen zu kurz.

Der IWF müsste sich stärker engagieren, um den drohenden Handelskrieg abzuwenden

Deutlich werden die Defizite im laufenden Handelskonflikt, der das Zeug hat, den globalen Konjunkturaufschwung abzuwürgen, ja, vielleicht den Weltfrieden zu gefährden. Zwar hat Lagarde mehrmals vor einem Handelskrieg gewarnt und in den USA, Deutschland und China sogar die aus ihrer Sicht Hauptverantwortlichen namentlich genannt. Sie hat es aber weder fertig gebracht, die Kontrahenten an einen Tisch zu holen, noch ein Konzept zur Überwindung der Krise präsentiert.

Befeuert wird der Konflikt durch jene gewaltige Unwucht im globalen Warenverkehr, die auch solche Experten für gefährlich halten, die nicht im Verdacht stehen, mit US-Präsident Donald Trump zu sympathisieren: Auf der einen Seite stehen Länder mit riesigen Handelsdefiziten, allen voran die USA, auf der anderen solche mit gigantischen Überschüssen, darunter China und Deutschland. Obwohl alle Beteiligten Dutzende IWF-Erklärungen unterschrieben haben, in denen vor genau solchen Ungleichgewichten gewarnt wird, gehen sie die Probleme nicht gemeinsam an. Zu unterschiedlich sind die Interessen.

Die US-Wirtschaft etwa konzentriert sich seit Langem vor allem auf die Inlandsmärkte und auf Dienstleistungen, sie exportiert deshalb jämmerlich wenig. Zudem sparen die Amerikaner nicht genug, um ihr Staatsdefizit finanzieren zu können. Sie benötigen also Geld aus dem Ausland. Dass Trump das so entstandene Leistungsbilanzdefizit dennoch als Schmach empfindet, erweitert die ohnehin schwierige Debatte noch um eine irrationale Komponente. Umgekehrt setzt Deutschland in Sachen Wachstum weiter voll auf den Export und wehrt Kritik an dieser Strategie als die Attacken vermeintlicher Neider ab.

Der IWF wäre in dieser verfahrenen Lage eine Art natürlicher Vermittler - er verfügt über die nötige Expertise und in Lagarde auch über die Persönlichkeit, die fähig wäre, ein für alle Seiten gesichtswahrendes Paket zu schnüren. Vielleicht reichte schon der Hinweis, dass für den Abbau der Ungleichgewichte niemand etwas aufgeben muss, sondern dass im Gegenteil alle Beteiligten sogar gewinnen können.

Die Amerikaner etwa müssten deutlich mehr sparen und zudem ihre Produktpalette so diversifizieren, dass sie außer für inländische auch für ausländische Kunden attraktiver wird. Deutschland wiederum müsste mehr in Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung investieren und zugleich die Steuern und die Sozialversicherungskosten für die breite Masse senken. Das würde die Kaufkraft und damit auch die Nachfrage nach Importwaren, amerikanischen etwa, stärken. Das Handelsdefizit sänke, ohne dass nur ein einziges Auto weniger exportiert werden müsste.

Doch selbst wenn die Streithähne keinen Vermittler wollen, müsste der IWF nicht untätig bleiben. Allein die Vorlage eines stimmigen Konzepts würde dazu führen, dass Amerikaner, Deutsche und Chinesen unter Druck gerieten und sich stärker öffentlich rechtfertigen müssten. Es wäre der Mühen wert, denn so viel ist gewiss: Geschlechtergerechtigkeit, Inklusion und Umweltschutz sind wichtig. Alle Bemühungen aber, hier zu Verbesserungen zu kommen, sind zum Scheitern verurteilt, sollte die Weltkonjunktur wegen des Handelsstreits tatsächlich abstürzen.

© SZ vom 23.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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