Kommentar:Verkehrte Welt am Geldautomaten

Lesezeit: 2 min

Ein Naturgesetz des Kapitalismus gilt nicht mehr. Nun könnten Bank und Kunde bald die Rollen tauschen.

Von Stephan Radomsky

Ohne Konto geht es nicht, ohne Kreditkarte wird es zumindest kompliziert. Leider. Aber der Chef zahlt eben schon lange nicht mehr in der Lohntüte aus, der Vermieter akzeptiert meist kein Bares und der Online-Händler nimmt sowieso nur Plastikgeld. An der Bank führt also kein Weg vorbei, deshalb gibt es seit vergangenem Jahr sogar einen gesetzlichen Anspruch darauf, dort als Kunde aufgenommen zu werden. Das Konto als Menschenrecht.

Weil aber auch die Banken um ihre Bedeutung wissen, lassen sie sich ihre Dienste von den Kunden immer teurer entlohnen. Anderswo ist für sie in Zeiten von Niedrigzinsen und strenger Regulierung nicht mehr genug zu verdienen. Und da kommen die Banker inzwischen auf noch sehr viel kreativere Ideen als nur schnöde Konto- und Kreditkartengebühren.

Bisher galt: Wer einen Kredit braucht, muss dafür Zinsen zahlen; wer Geld verleiht, der erhält mehr zurück, als er gegeben hat. Das war fast so etwas wie ein Naturgesetz des Kapitalismus. Für deutsche Bankkunden aber gilt es nicht mehr. Inzwischen gewährt mit der Landwirtschaftlichen Rentenbank, einem Förderinstitut aus Frankfurt, das erste Geldhaus zumindest mittelbar Negativzinsen auf Darlehen. Sie legt also noch etwas drauf, wenn die Kunden nur einen Kredit nehmen. Zugleich verlangt aber schon etwa jede zehnte Sparkasse, Volks- oder Raiffeisenbank eine Gebühr für Abhebungen, und zwar auch an den eigenen Automaten. Manche Institute staffeln dabei sogar nach Tageszeit. Will der Kunde also das Geld zurück, das er der Bank geliehen hat, muss er dafür auch noch zahlen. Verkehrte Welt am Geldautomaten.

Vielleicht könnte man dieses ganze derangierte System für sich arbeiten lassen

Der Verbraucher weiß da endgültig nicht mehr, was er tun soll. Wie gehabt sparen? Aussichtslos. An der Börse investieren? Riskant. Und einfach auf später pfeifen und alles durchbringen ist auch keine Lösung. Aber was dann?

Vielleicht könnte man dieses ganze derangierte System für sich arbeiten lassen. Zumindest theoretisch wäre das gar nicht kompliziert. Der Einzelne müsste nur immer neue, immer höhere Kredite nehmen. Die eigentliche Darlehenssumme legte er dann unangetastet irgendwo unter die Matratze und würde sie am Ende einfach an die Bank zurückzahlen. In der Zwischenzeit könnte er die Negativzinsen einstreichen und damit beispielsweise seine Kontogebühren oder - ausreichend hohe Schulden vorausgesetzt - sogar die Miete zahlen.

Kunde und Bank würden damit die Rollen tauschen: Der Verbraucher profitierte von der Zinsdifferenz und übernähme damit das klassische Banken-Geschäftsmodell. Die Institute dagegen gerieten in die althergebrachte Rolle des Verbrauchers. Verkehrte Welt eben.

Schon klar, noch funktioniert das alles nicht, noch ist der Rollentausch ein reines Gedankenspiel. Damit es praktisch funktioniert, müssten die Negativzinsen auch wirklich bei den Kreditnehmern ankommen und wahrscheinlich auch noch höher werden. Aber so völlig abwegig wie noch vor ein paar Jahren ist das alles nicht mehr. Und das allein sollte beunruhigen - allen voran die Banken.

Noch sind Girokonto und Kreditkarte unverzichtbar, aber wie lange noch? Vielleicht, und auch das scheint gar nicht mehr abwegig, zahlen bald alle direkt mit dem Handy, womöglich in einer Krypto-Währung wie Bitcoin. Mit dem Geldsegen am Bankautomaten wäre es dann ganz schnell vorbei. Allerdings bieten auch Computerkonzerne ihre Dienste nicht umsonst an. Der Verbraucher sei deshalb schon mal gewarnt: Nicht nur Banker sind ziemlich einfallsreich, wenn es darum geht, die Kunden zahlen zu lassen.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: