Kommentar:Verfrühter Jubel

Lesezeit: 2 min

Aus Großbritannien kommen einige gute Nachrichten. Die Austritts-Fans sehen schon ihre Einschätzung bestätigt, dass der Brexit dem Land nicht schaden werde - ein Irrtum!

Von Björn Finke

Die Arbeitslosenquote in Großbritannien liegt bei 4,8 Prozent, so niedrig wie zuletzt vor elf Jahren. Die Wirtschaft wächst kräftig, und schneller als etwa in Deutschland. Der Londoner Börsenindex FTSE 100 erreichte schon im Herbst eine neue Rekordmarke. Und das alles, obwohl vor ziemlich genau einem halben Jahr die Briten für den Austritt aus der EU gestimmt haben. Fachleute warnten damals, der Sieg des Brexit-Lagers werde die Konjunktur abwürgen, Firmen würden das Königreich verlassen.

Bisher ist vom Brexit-Blues allerdings nichts zu spüren. Zwar verlor das Pfund nach dem EU-Referendum im Juni deutlich an Wert, aber diese Entwicklung hilft der britischen Industrie, weil sie deren Waren auf Exportmärkten billiger macht. Die Austritts-Fans im Lande - und in der konservativen Regierung - jubilieren; durch die freundlichen Daten sehen sie ihre Einschätzung bestätigt, dass der Brexit der Wirtschaft keineswegs schade.

Die guten Wirtschaftsdaten steigen den Austritts-Fans im Königreich zu Kopf

Der Jubel ist jedoch verfrüht. Die Folgen dieser schicksalhaften Entscheidung werden sich erst in den kommenden Monaten zeigen. Und diese Folgen werden alles andere als freundlich sein. Wie sehr die Unsicherheit über die Handelsbeziehungen die Wirtschaft belastet, hängt aber auch von der Regierung ab. Dummerweise verstärkt Premierministerin Theresa May mit ihren Aussagen bisher die Ungewissheit, statt sie zu mindern.

Bislang investieren Unternehmen trotzdem weiter, stellen Leute ein, und die Verbraucher geben gerne Geld aus. Schließlich tritt das Land erst 2019 aus der EU aus. Dennoch wird 2017 ein schwieriges Jahr - für die Bürger wie für die Firmen. Der Absturz des Pfundkurses führt dazu, dass Importiertes teurer wird, etwa Lebensmittel. Das wird sich langsam auf den Preisschildern der Supermärkte niederschlagen. Die Verbraucher werden sich deswegen mit größeren Anschaffungen zurückhalten, ihre Ausgabefreude wird die Konjunktur nicht länger stützen.

Zugleich werden schlechte Nachrichten aus den Firmenzentralen die Stimmung trüben. Die EU ist der wichtigste Exportmarkt für britische Unternehmen. Und viele internationale Finanzkonzerne bedienen von London aus Kunden auf dem ganzen Kontinent. Industrie und Geldbranche profitieren dabei vom EU-Binnenmarkt: Sie können in jedem Mitgliedsstaat Produkte verkaufen oder Filialen eröffnen, ohne die Genehmigung nationaler Aufseher einholen zu müssen.

Der Brexit bedroht diese Vorteile. Wollen sich Banken absichern, müssen sie Abteilungen aus London in Euro-Staaten verlagern und dort eine Lizenz beantragen. Weil so ein Umzug dauert, müssen Finanzfirmen bereits bis Sommer 2017 die Weichen stellen. Industriekonzerne wiederum werden zögern, britische Fabriken mit Großinvestitionen zu beglücken. Im Zweifel ist es sicherer, dafür einen Standort auf dem EU-Festland auszuwählen.

Allein schon die Ungewissheit über die Beziehungen zur EU wird also Jobs kosten. Die Regierung könnte dem entgegenwirken - mit klaren Zusagen. Doch bisher ist Theresa Mays Strategie auf maximale Unverbindlichkeit ausgelegt. Mal gibt sie die knallharte Brexit-Vollstreckerin, mal die pragmatische Firmenversteherin.

Sicher ist nur, dass May im März das Austrittsverfahren starten wird. Zwei Jahre später sind die Briten draußen. Allerdings ist ungewiss, ob sich Brüssel und London in der knappen Zeit wirklich auf ein Handelsabkommen einigen können. Gelingt das nicht, sind von 2019 an Zölle bei Geschäften über den Ärmelkanal fällig - ein Albtraum für die Unternehmen.

Helfen könnte eine Übergangsregelung: Eine frühe Vereinbarung, dass sich für die Firmen so lange nichts ändert, bis ein dauerhaftes Abkommen unterschrieben ist. Eine frühe Vereinbarung, dass Änderungen langsam und schrittweise umgesetzt werden. Wirtschaftsverbände im Königreich fordern so eine Lösung, als Mittel gegen die nagende Ungewissheit. Die Unternehmen müssten dann nicht mehr das Allerschlimmste befürchten und hätten mehr Zeit, sich anzupassen. London muss versuchen, rasch so eine Vereinbarung mit der EU zu erreichen.

Mays Brexit-Minister David Davis sagt hingegen gönnerhaft, er halte nichts von so einer Übergangslösung, aber er würde sie erwägen, wenn denn die EU nett danach fragt. Diese Arroganz ist atemberaubend. Es scheint so, als seien die guten Wirtschaftsdaten den Austritts-Fans zu Kopf gestiegen. Doch die kalte Dusche wird nicht lange auf sich warten lassen.

© SZ vom 28.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: