Kommentar:Stabilitätspakt im Sinne Pekings

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Chinas Börsen befinden sich seit Wochen im freien Fall. Nun verliert auch noch Peking einen Großteil seiner Glaubwürdigkeit.

Von Marcel Grzanna

In China gilt: Marktwirtschaft ja, aber nur solange es genehm ist. Wenn der Markt dann tatsächlich seine volle Kraft entfaltet, schieben die Genossen lieber einen Riegel vor. Genau das geschieht gerade an den Börsenplätzen der Volksrepublik. Die Kurse befinden sich seit Wochen im freien Fall. Weil Peking die Wertvernichtung zurzeit aber überhaupt nicht gebrauchen kann, greift die Regierung umfangreich in die Kursentwicklung ein. Hier geht es wohlgemerkt nicht um ein paar Stellschräubchen, um gute Laune unter Investoren zu schaffen. Nein, die Regierung setzt alles in Bewegung, um die Kurse positiv zu manipulieren.

Zuletzt kam ein Krisenstab mit hochrangigen Vertretern des Kabinetts und der Zentralbank zusammen und überzeugte die Finanzindustrie davon, dass es besser sei, wenn sie selbst ein paar ihrer Milliarden an der Börse investierten. Für den guten Zweck sozusagen, Risiko hin oder her. Der Stabilitätspakt Marke Peking war aber nur der Gipfel einer Reihe außergewöhnlicher Maßnahmen zur Rettung des Aktienmarkts, aber es war wohl die ungewöhnlichste. Die Regierung hat deutlich gemacht, dass sie alle und jeden in die Pflicht nimmt, für ihre ureigenen Interessen zu handeln. Wer mit am Tisch saß bei diesen Gesprächen, der hatte wohl keine andere Wahl, als sich den Vorstellungen der Autokraten zu beugen.

Das Signal der chinesischen Politik an ausländische Investoren ist verheerend

Das alles ist ein Desaster in mehrfacher Hinsicht. Das Land spricht seit Jahren davon, wie wichtig es sei, mehr Liberalisierung und mehr Marktwirtschaft zuzulassen. Deswegen leitete die Regierung auch schrittweise entsprechende Maßnahmen ein. Doch dann macht sie kehrt und sprintet in die entgegengesetzte Richtung. Das Signal an ausländische Investoren ist fatal. Niemand von ihnen kann sich darauf verlassen, dass der Staat sich an anderen Fronten heraushält - zum Beispiel wenn seine eigenen Unternehmen unter Druck geraten. Internationale Mitbewerber müssen stets wachsam sein, weil ihnen von den Behörden möglicherweise Hindernisse in den Weg gelegt werden. Zwar beteuern die Genossen, dass dem nicht so sei. Aber: Sie verlieren gerade einen großen Teil ihrer Glaubwürdigkeit.

Das war viele Jahre lang relativ egal, weil sowieso alle genug Geld verdienten. Die ausländischen Firmen fühlten sich trotz der Regulierungswut der Politik am richtigen Fleck, um gute Umsätze zu erzielen. Doch jetzt sind die Bedingungen andere. Die Wirtschaft lahmt, die Löhne steigen. China wird in Zukunft ohnehin schon deutlich stärker um Investitionen buhlen müssen als jemals zuvor seit Beginn der Öffnungspolitik Ende der 1970er-Jahre. Die Konkurrenz in Südostasien wird immer größer. Peking tut sich keinen Gefallen mit drastischen Eingriffen in die Automatismen des freien Wettbewerbs. Die Industrie zieht solche systemischen Rahmenbedingungen bei Investitionsentscheidungen immer intensiver in Erwägung.

Zum Vertrauensverlust in die marktwirtschaftliche Entwicklung des Standorts China gesellt sich ein zweites Problem. Viele Privatanleger haben Geld verloren. Es wird gemunkelt, dass sich verzweifelte Bankrotteure das Leben genommen haben. Berichtet wird darüber in chinesischen Zeitungen aber nicht. Millionen Laien und Anfänger wurden an die Börse gelockt, aber nur halbherzig davor gewarnt, dass chinesische Aktien hochspekulative Finanzprodukte sind. Die Regierung nutzte die naive Zockermentalität vieler Landsleute eiskalt aus, weil ihr Erspartes an der Börse gebraucht wurde. Jetzt stehen viele mit leeren Händen da. Die soziale Sprengkraft nimmt mit jedem Crash zu. Da hilft es nichts, dass jetzt ausländische Investoren als Auslöser der Krise von der Aufsichtsbehörde vermutet werden. Sie hätten auf fallende Kurse gewettet und damit erheblichen Anteil am Abwärtstrend. Selbst wenn es so wäre, sind das eben genau jene marktwirtschaftlichen Mechanismen, die einsetzen, wenn eine Börse zu einer großen Blase aufgepustet wird. Und dafür ist Peking ganz allein verantwortlich.

Doch anstatt eines Endes mit Schrecken bastelt Peking jetzt an einem Schrecken ohne Ende, wenn die Kurse erneut künstlich aufgebläht werden. Neue Privatinvestoren werden in die Falle tappen, zumal Studien ergeben haben, dass immer mehr Erstkäufer mit niedrigem Bildungsniveau mit Aktien spekulieren. Die Ahnungslosigkeit unterer Bevölkerungsschichten soll Peking dabei helfen, die Konsolidierung der Börsen voranzutreiben. Sozial verantwortlich ist das nicht. Es ist Ausdruck für den enormen Druck, den die Regierung verspürt. Sie scheint fast jeden Preis zahlen zu wollen, um das Drama an den Börsen zu beenden.

© SZ vom 07.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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