Kommentar:Spieler Abe

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Premierminister Abe versucht mit niedrigen Zinsen die Wirtschaft anzukurbeln. Das wird nicht helfen.

Von Christoph Neidhart

Der Einsatz, mit dem Japans Premier Shinzo Abe das Wachstum der Wirtschaft erzwingen will, wird immer größer. Nächste Woche wird er ein Konjunkturpaket von mehr als 28 Billionen Yen schnüren, 241 Milliarden Euro, etwa sechs Prozent der Jahreswirtschaftsleistung Japans. Abe rechtfertigt dieses größte Konjunkturpaket der Geschichte Japans mit dem Brexit. Das ist aber nur ein Vorwand. Sowohl die Börse wie auch der Yen sind längst wieder dort, wo sie vor dem Austrittsvotum Mitte Juni waren. Selbst die Nothaushalte während der Finanzkrise 2009 und nach der Atomkatastrophe von 2011 waren kleiner.

Damals drohte der Wirtschaft ein Einbruch, jetzt aber steckt sie in keiner akuten Krise. Dem Durchschnittsjapaner geht es etwa gleich wie vor drei, fünf oder zehn Jahren. Sein Lohn war damals knapp und ist es heute noch, nur die Renten hat Abe gekürzt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 3,2 Prozent, es herrscht de facto Vollbeschäftigung. In den meisten Ländern würde das die Löhne antreiben, Japan jedoch hat keinen funktionierenden Arbeitsmarkt. Festangestellte bleiben ihr ganzes Leben bei der gleichen Firma. Wer in sogenannten Zeitstellen arbeitet, wird offiziell von der Agentur beschäftigt, die ihn vermittelt. Diese Agenturen hebeln den Markt aus. Deshalb erhalten selbst Zeitarbeiter von Weltkonzernen wie Sony kaum mehr als den Minimallohn.

Das reiche Japan braucht nicht unbedingt Wachstum. Aber eine Umverteilung täte not

Japans Wirtschaft stagniert seit zweieinhalb Jahrzehnten. Da auch die Bevölkerung schrumpft, verändert sich die Wirtschaftsleistung pro Kopf im Schnitt kaum. Nur hilft der Durchschnitt den Menschen des unteren Mittelstands nicht. Die Kluft zwischen Japans Reichen und dem Rest vergrößert sich stetig, immer mehr Menschen rutschen in eine oft verborgene Armut ab. Nach Unicef-Angaben wachsen 16 Prozent der Kinder Japans in Armut auf.

Diese Kluft bedeutet eine Spaltung zwischen Stadt und Land sowie zwischen Festangestellten und Menschen in Zeitverträgen. Letztere machen inzwischen 40 Prozent aller Berufstätigen aus. Damit kann sich ein Großteil der Japaner ein Mehr an Konsum, wie Abe es will, um die Wirtschaft anzukurbeln, gar nicht leisten. Das reiche Japan braucht nicht unbedingt Wachstum. Aber eine Umverteilung täte not: Sie könnte sogar Wachstum generieren.

Angekündigt hatte Abe das Konjunkturpaket schon nach den Oberhauswahlen, allerdings für die Zeit nach den Obon-Feiertagen. Mitte August fahren viele Japaner in ihre Heimatdörfer, um ihre Ahnen zu ehren, das öffentliche Leben kommt zum Erliegen.

Warum ist Abe vorgeprescht? Wollte er die Notenbank, die am heutigen Freitag tagt, mit Druck dazu bewegen, ihre Geldpolitik weiter zu lockern? Abe-Berater Koichi Hamada ruft seit Monaten nach Helikoptergeld, also Geld, das die Notenbank metaphorisch herabregnen läßt. Notenbank-Chef Haruhiko Kuroda lehnt das ab. Das verstoße gegen das Gesetz. Aber Hamada lässt sich nicht bremsen.

Abenomics besteht aus "drei Pfeilern", wie Abe sagt: einer lockeren Geldpolitik, Fiskalmaßnahmen und Strukturreformen. Mit lockerer Geldpolitik verhalf Kuroda Abe zu Luft und Kapital, um Strukturreformen durchzusetzen. Wenn die Börse boome, weil mehr Geld zur Verfügung steht, so eine weitere Überlegung, provoziere das eine positive Rückkoppelung. Das funktionierte zu Beginn, aber Abe versäumte es, diese Zeit zu nutzen. Er redet zwar von Strukturreformen, bleibt aber vage. Als die Börse wieder nachgab, wies Abe den staatlichen Pensionsfonds an, vermehrt in japanische Aktien zu investieren. So verzockte der Fonds bis Ende März etwa 40 Milliarden Euro Altersersparnisse der Japaner.

Japans Finanzgefüge ist aus dem Gleichgewicht. Die Notenbank hält ein Drittel der ausstehenden Staatsanleihen (JGB), jährlich kauft sie für 80 Billionen Yen noch welche dazu. Sie finanziert das Staatsdefizit mit der Druckerpresse. Mitte 2017 wird der JGB-Markt austrocknen. Abes Regierung musste zugeben, dass es ihr nicht gelingen wird, das Primärbudget (ohne Schuldendienst) wie von einem Gesetz vorgeschrieben, bis 2020 auszugleichen. Der Schuldenberg, heute schon 240 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung Japans, wird weiterwachsen.

Japan braucht radikale Strukturreformen, davor schreckt Abe zurück. Lieber versucht er es mit mehr Geld, wie es Japans Regierungen seit zwei Jahrzehnten probieren. Als ob einem Spieler, der chronisch verliert, geholfen wäre, wenn man ihm Geld leiht. Er nimmt das zusätzliche Geld, verspielt es auch noch und wartet auf den nächsten Zuschuss. Gleichwohl lässt Abe mit immer höheren Einsätzen pokern.

© SZ vom 29.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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