Kommentar:Rauflustige Italiener

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Regierungschef Matteo Renzi begehrt auf gegen die Rezepte, mit denen sein Land die Krise überwinden soll. In Brüssel stößt der Italiener auf Unverständnis. Welch Fehler! Vorlaut der eine, borniert die anderen, treiben sie Europas Zerstörung voran.

Von Ulrike Sauer

Am 22. Februar 2014 versprach Matteo Renzi einem Land, das man für unreformierbar hielt, den Richtungswechsel. Angenehm überrascht verfolgten die europäischen Partner den Tatendrang eines Regierungschefs, der sich anschickte, Italien aus seiner Selbstblockade zu befreien. Ein Lichtblick im frustrierenden EU-Alltag war das - bis gestern. Nun fliegen die Fetzen. Renzi rüttelt ungestüm an der EU-Ordnung; er will die europäische Wirtschaftspolitik grundlegend ändern. Aus Brüssel schlägt dem Italiener Feindseligkeit entgegen.

Renzis Mantra lautet: "Keine Untertänigkeit." Vorbei die Zeit, in der Italiener verzagt nach Brüssel reisten, um immer neue Regeln des Miteinanders abzunicken, die schwer einzuhalten waren oder das Land weiter zurückwarfen. Die verschämten Nachfolger Berlusconis stimmten allem zu: dem Stabilitätspakt, der Schuldenbremse, der Bankenunion, diskriminierenden Stresstests für die italienischen Geldinstitute und den neuen Vorschriften zur Abwicklung maroder Banken. Kürzlich hinderte die EU-Kommission die Regierung sogar daran, die Bankbilanzen von faulen Krediten zu säubern. Europa vertat die Chance, ein wesentliches Wachstumshindernis zu beseitigen.

Renzi begehrt gegen eine Wirtschaftspolitik auf, die dem Land schadet - vergeblich

Die Folgen sind deprimierend. "Die neuen Regeln sind potenziell destabilisierend für Italien, weil sie für die Wirtschaft von Ländern erdacht wurden, die zur Normalität zurückgekehrt sind", stellt die Ökonomin Lucrezia Reichlin von der London School of Economics fest. Zwar kehrte Italien 2015 nach sieben Jahren Rezession zu Wachstum zurück. Von Normalität aber ist keine Spur.

Schon droht der nächste Schlag aus Berlin. Schäuble drängt darauf, den Besitz von Staatsanleihen für Banken zu deckeln. Für Italien, dessen Finanzinstitute ein Viertel der Schulden ihres Landes halten, ist das ein Horrorszenario.

Die Italiener begehren nicht nur gegen die Rezepte auf, mit denen die Krise überwunden werden soll. Sie sind auch des wirtschaftlichen Alltags in Europa überdrüssig. Von der Agrarpolitik, die von der deutsch-französischen Industrie bestimmt wird und den Interessen der italienischen Landwirtschaft mit ihren Qualitätsprodukten und ihrem Markenschutz zuwiderläuft, über Abgasregeln, die von der deutschen Autolobby durchgesetzt werden, bis zum Stopp für das italienische Gasleitungsprojekt South Stream, dem die Freigabe für das deutsche North Stream folgte - die Italiener fühlen sich systematisch benachteiligt. Renzi rief Italiens Botschafter aus Brüssel ab und schickt nun den Wirtschaftsmann Carlo Calenda ins Feld. "Der ist noch rauflustiger als ich", versichert er.

Am kommenden Freitag empfängt Renzi den EU-Chef Jean-Claude Juncker in Rom. Sein Hauptanliegen ist es, die Annahme des diesjährigen Haushalts zu erzwingen. Rom will 16 Milliarden Euro Mehrausgaben für 2016 genehmigt bekommen. Man pocht darauf, wie schon 2015 diverse Flexibilitätsklauseln in Anspruch zu nehmen. Damit würde die geplante Neuverschuldung 2,4 Prozent betragen, also die Drei-Prozent-Marke wie in den Vorjahren unterschreiten. Der Stabilitätspakt verlangt aber einen deutlichen Defizitabbau von Rom.

Renzi geht es nicht darum, um die Stellen nach dem Komma zu feilschen. Ihm passt die Richtung nicht. Brüssel sei auf dem falschen Weg. Die Austerität funktioniere nicht. In den Chefetagen des Brüsseler Palais Berlaymont ist man dagegen der Ansicht, genug getan zu haben. Unter Juncker setze die Kommission auf Wachstum, Investitionen und Flexibilität. Italien profitiere am stärksten davon. Weitere Forderungen seien unverschämt.

Der aufmüpfige Renzi tut sich zunehmend schwer. Der Schwung, mit dem das Jahr 2015 begonnen hatte, schwächte sich im Lauf der Monate ab. Im letzten Quartal wuchs die Wirtschaft nur um 0,1 Prozent. Das Wachstum blieb 2015 mit 0,7 Prozent hinter den Erwartungen zurück. Das dämpft auch die Aussichten für 2016, ein Jahr, in dem die italienische Schuldenquote von 133 Prozent nach sieben Jahren erstmals sinken soll. Die Wende soll beweisen, dass Renzis Reformen funktionieren. Nun stockt der Aufschwung - trotz Flexibilität. Das zeigt: Es muss an etwas anderem liegen.

Italien hat ein hartnäckiges Problem mit der Produktivität, das nicht energisch genug angegangen wird. Das schadet Renzi, ebenso wie die hohen Staatsausgaben, die er nicht unter Kontrolle bringt. Glaubwürdig aber sind auch seine Kontrahenten nicht. Sie versteifen sich auf eine Politik, die in Italien schlicht kontraproduktiv wirkt. Vorlaut der eine, borniert die anderen, machen sie sich zu Komplizen der Selbstauflösung Europas.

© SZ vom 22.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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