Kommentar:Querdenker gesucht

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Die Bundesbank wird 60. Und es sieht so aus, als ob sie noch ein langes Dasein führen wird. Dabei wünscht sich mancher für Europa eine richtige Zentralbank.

Von Markus Zydra

Mario Monti hat der Deutschen Bundesbank zu ihrem 60. Geburtstag seine große Bewunderung ausgesprochen, gleichzeitig aber mit Blick auf deren Zukunft den Wunsch geäußert, die Bundesbank möge in weiteren 60 Jahren verschwunden sein. Der frühere italienische Ministerpräsident möchte für Europa "eine richtige Zentralbank", in der die EZB nicht mehr von den Notenbankpräsidenten der einzelnen Euro-Staaten gelenkt wird - sondern von europäischen Währungshütern.

Man mag sich in Deutschland angesichts dieser guten Wünsche hämisch auf die Schenkel schlagen: Ein Italiener, der die Bundesbank abschaffen möchte, das hätten die im Süden wohl gern ... - aber es lohnt sich, über die Idee hinter dem Vorschlag nachzudenken. Bei einer der ersten Sitzungen der Europäischen Zentralbank (EZB) im Jahr 1998 entfernte der damalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer, der qua Amt auch im Rat der neuen europäischen Institution saß, von seinem Namensschild auf dem Sitzungstisch das Wort "Bundesbank". Er sitze hier nicht für Deutschland, sondern als Fachmann für Geldpolitik. Die Kollegen taten es ihm nach. Diese bemerkenswerte Maßnahme gilt bis heute als Ausweis dafür, dass die 19 Notenbankchefs im EZB-Rat europäisch denken und handeln. Das tun sie bestimmt auch im Großen und Ganzen, aber selbstverständlich ist jeder Notenbankchef stark in der Tradition seiner nationalen Institution verwurzelt. Sie prägt das Denken des Amtsinhabers.

In anderen Euro-Staaten überwiegen historische Ängste vor einer Wirtschaftskrise

Aus dieser Tradition heraus hat sich die Bundesbank gegen die lockere Geldpolitik der EZB ausgesprochen. Man konnte von ihr auch nichts anderes erwarten. Die Kritik spiegelt die Erfahrungen aus der deutschen Geschichte, als Hyperinflationen die Sparvermögen vernichtet haben.

In anderen Euro-Staaten überwiegen die historischen Ängste vor einer Wirtschaftskrise, wie sie die Welt in den 1930er-Jahren erlebte. Sie meinen, dass eine Notenbank als Retter in der Not einspringen muss. Das ist der tiefere Grund für den jahrelangen Streit in der EZB über die Rettungspolitik. Die nationalen Notenbanken in der Euro-Zone entfalten in der EZB aufgrund ihrer unterschiedlichen Traditionen mitunter Fliehkräfte - gerade in Zeiten der Krise.

Die Zerrissenheit in der EZB ist auch Folge der wirtschaftlichen Unterschiede in der Euro-Zone: Deutschland bräuchte eigentlich höhere Leitzinsen, für Spanien und Griechenland ist der Nullzins gerade richtig. Im einen Euro-Land boomt die Wirtschaft mehr, im anderen weniger. Die EZB fußt ihre Entscheidungen auf Durchschnittszahlen und kann es keinem wirklich recht machen. Die Euro-Zone hat eine Geldpolitik, aber 19 Wirtschafts- und Finanzpolitiken.

Die Euro-Regierungen nehmen es mit der vereinbarten Haushaltsdisziplin unterschiedlich ernst. Dazu kommen divergierende nationale Gesetze, etwa zum Arbeits- und Unternehmensrecht. Unter diesen Bedingungen kann eine Währungsunion nicht funktionieren. Die Politiker müssen ran. Vieles von dem, was in der Debatte unter dem Stichwort "Europäischer Finanzminister" subsumiert wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Aber was ist die künftige Aufgabe der Bundesbank? Die Deutschen lieben die Währungshüter mit Blick auf die stabile D-Mark vor allem aus nostalgischen Gründen. Doch die Zeiten heute sind ganz andere. Der Kampf gegen die Inflation, mit dem die Bundesbank ihre gute Reputation aufbaute, ist in den Hintergrund getreten. Die Preise in der Euro-Zone steigen eher zu wenig als zu viel. Dennoch verfolgt die EZB das Ziel, die Inflation auf zwei Prozent hochzutreiben. Doch was, wenn man das falsche Ziel hat, und diese Definition von Preisstabilität gar nicht mehr erfüllt werden kann?

Auch eine Rückkehr zu einem "normalen" Leitzins von drei Prozent ist unwahrscheinlich. Die Kosten für neue Staatsschulden orientieren sich am Leitzins, und viele Euro-Staaten könnten sich den höheren Zins nicht leisten. Wie soll die Notenbank mit diesen Sachzwängen umgehen? Die Welt braucht dringend frische Ideen. In allen Industriestaaten sind die Inflationsraten niedrig, und die Wachstumsraten fallen angesichts der lockeren Geldpolitik viel zu gering aus.

Bald beginnt die Renovierung der Bundesbankzentrale, das Gebäude wird 2029 fertig. Die deutschen Währungshüter - soviel zu Montis Vision - planen also noch ein langes Leben. Dann aber bitte: neugierig leben, Querdenker ernst nehmen und nicht so oft vieles besser wissen wollen. So könnte die Bundesbank eine Vordenkerrolle einnehmen auf der Suche nach einer robusten Geldpolitik der Zukunft.

© SZ vom 01.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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