Kommentar:Paritätische Mitbestimmung - ein Modell von gestern

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Jetzt ist das heikle Thema wieder da. Die Krise bei Karstadt-Quelle und Opel ermutigt die Mächtigen, mit der Mitbestimmung in den Unternehmen abzurechnen.

Von Karl-Heinz Büschemann

In den Arbeitgeberverbänden BDI und BDA kreisen schon Papiere, in denen gefordert wird, die Rechte der Beschäftigten einzuschränken. BDI-Präsident Michael Rogowski hält die Mitbestimmung sogar für einen "Irrtum der Geschichte".

Arbeitnehmervertreter riefen zehntausende Opel-Mitarbeiter und ihre Familien in Rüsselsheim zu Protesten auf. (Foto: Foto: Reuters)

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) dagegen sieht in der Mitsprache große Vorteile für den Unternehmensfrieden bei Opel: "Ohne Mitbestimmung wären denen die Brocken schon um die Ohren geflogen."

Doch die paritätische Mitbestimmung, die vielleicht wichtigste Errungenschaft der Gewerkschaften in der aufstrebenden Bundesrepublik, steht so stark in der Kritik wie zuletzt vor 25 Jahren, als die Arbeitgeber gegen diese deutsche Besonderheit erfolglos das Bundesverfassungsgericht anriefen.

Die paritätische Mitbestimmung hat Geschichte

Die Regelung, die es seit 1976 den Mitarbeitern erlaubt, in Aktiengesellschaften die Hälfte der Mitglieder im Aufsichtsrat zu stellen, und die für Stahl- und Montankonzerne mit noch größeren Rechten seit 1951 gilt, erklärt sich aus der besonderen Geschichte der Deutschen. Machtvolle Konzerne hatten das Dritte Reich unterstützt. So etwas sollte sich nicht wiederholen.

In keinem europäischen Land gehen die Rechte der Belegschaften so weit. In den meisten Ländern der Welt sind die Mitarbeiter in den Führungsgremien der Konzerne überhaupt nicht vertreten. Daher gilt die Mitbestimmung bei ausländischen Investoren als Relikt einer fast sozialistischen Tradition der Deutschen.

Sie ist aber nun, im Europa der offenen Grenzen, sogar zum Standortnachteil geworden. Firmen wie Aventis haben ihren Sitz nach Frankreich verlegt - auch wegen der Mitbestimmung. Ausländische Investoren meiden Deutschland, weil sie nicht ertragen wollen, dass Gewerkschafter in ihren Führungsgremium mitreden.

Instrument zur Kontrolle des Vorstands

Befürworter halten dem entgegen, die Einbindung der Belegschaften habe in der Bundesrepublik den Urkonflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgehoben und einen sozialen Frieden gebracht, für den uns andere Länder beneiden.

Daran ist manches richtig - und trotzdem fällt eine Bilanz der Mitbestimmung ernüchternd aus. Bei einer zentralen Frage, und zwar ausgerechnet der Kontrolle der Vorstände, versagt das Instrument.

Die Opel- und Karstadt-Mitarbeiter werfen ihren Vorständen schwere Managementfehler vor. Zu Recht.

Allerdings haben die Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten den Fehlentscheidungen der Vorstände jahrzehntelang zugestimmt. Holzmann ging pleite, die Metallgesellschaft löste sich fast auf - alles unter Mitwirkung der Belegschaft.

Beim Weltkonzern Bayer wirkten die Belegschaftsvertreter am Niedergang mit. Überhöhte Chefgehälter und Abfindungen haben die Gewerkschafter genauso abgenickt wie sinnlose Firmenfusionen. Bei Opel und VW, die heute beide unter ihrem hohen Lohnniveau zu leiden haben, wirkten die Arbeitnehmer daran mit, dass Einkommen vereinbart wurden, die weit über den Flächentarifen liegen.

Die Arbeitnehmer haben den Sachverstand in der Unternehmenskontrolle nicht erhöht. Kurioserweise haben sie den Managern das Leben sogar leichter gemacht. Mitbestimmte Aufsichtsräte sind wenig effizient.

Unternehmerische Entscheidungen fallen zu spät

Zwischen Vorstandschef und dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden, der in der Regel stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates ist, herrscht meist bestes Einvernehmen. Beide brauchen einander. Ein Konzernchef wird nie gegen den obersten Betriebsrat ernannt. Dafür kann die Belegschaftsseite im Zweifelsfall auf Verständnis des Unternehmenschefs rechnen.

So fallen unangenehme, aber notwendige Spar-Entscheidungen meist zu spät. Bei Karstadt und Opel wurden sie erst nach einem radikalen Management-Wechsel möglich.

In welch zweifelhafter Weise die Interessen von Firmenchef und Arbeitnehmern zusammenfallen können, war in einer Managementposse bei DaimlerChrysler zu sehen. Dort halfen die Belegschaftsvertreter, den Chefvertrag von Jürgen Schrempp weit vor der Zeit zu verlängern. Der sorgte dafür, dass den Gewerkschaftern der neue Mercedes-Chef Wolfgang Bernhard erspart blieb, den beide Seiten ein paar Wochen zuvor noch für den richtigen Mann gehalten hatten, der sich dann aber erdreistete, Personalkürzungen anzukündigen.

Ohne Zweifel hat die Mitbestimmung ihre Verdienste. Sie hat geholfen, die alte Kluft von Arbeit und Kapital zuzuschütten.

Einmalig in Europa

Doch die Zeiten des Klassenkampfes sind vorbei. Die Gewerkschaften haben zu wenig getan, um das Instrument, das ihnen vor knapp 30 Jahren in die Hand gefallen ist, so professionell und kreativ zu handhaben, dass für Unternehmen und Mitarbeiter ein bleibender Zusatzgewinn entstanden wäre, den es in anderen Ländern nicht gibt. Das ist nicht geschehen.

Die Mitbestimmung war ein soziales Experiment, das in der Zeit, als es entstand, Sinn und Berechtigung besaß. Eine Zukunft aber hat sie nicht. Schließlich kommt auch der Rest Europas ohne Mitbestimmung aus, ohne dass die Rechte der Mitarbeiter dort mit Füßen getreten würden.

© SZ vom 20.10.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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