Kommentar:Minister für den Stillstand

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Marc Beise erlebte bereits die Krise 2008 als SZ-Wirtschaftsredakteur. Es ist eine prägende Erinnerung. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: ipad)

Sigmar Gabriel erlaubt eine Supermarkt-Fusion und schränkt damit den Wettbewerb ein.

Von Marc Beise

Für die Beschäftigung in Deutschland sind dies gute Zeiten. Noch nie gab es so viele Jobs wie heute, und wir haben den niedrigsten Stand bei der Arbeitslosigkeit seit 1991. Zwar ist nicht alles gut: Viele Arbeitsverhältnisse sind unsicher, immer häufiger reicht ein Job allein nicht zum Leben, es gibt sehr schlecht bezahlte Arbeit - aber in der Summe und im internationalen Vergleich ist die Lage so gut wie selten.

Gerade in solchen Zeiten, sollte man meinen, dürfte die Bereitschaft der Politik groß sein, der Marktwirtschaft ihren Lauf zu lassen und der wohlstandsfördernden Wirkung von Angebot und Nachfrage zu vertrauen. Umso überraschender war in dieser Woche die Ankündigung einer Ministererlaubnis für den Verkauf der Supermärkte von Kaiser's Tengelmann an den Branchenriesen Edeka.

Gegen den erklärten Willen und Rat der Wettbewerbsspezialisten von Bundeskartellamt und Monopolkommission will Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) diesen Zusammenschluss durchwinken, obwohl es dann auf ohnehin stark konzentrierten regionalen Märkten wie in Berlin und München noch weniger Wettbewerb geben wird. Das sei ordnungspolitisch fragwürdig, räumte Gabriel ein, passenderweise kurz vor dem 125. Geburtstag (an diesem Sonntag) von Walter Eucken, dem Vordenker unseres Systems der sozialen Marktwirtschaft - aber es gelte halt, 16 000 Arbeitsplätze zu sichern.

Sigmar Gabriel beruft sich gerne auf Ludwig Erhard. Der aber vertraute dem Markt

Erst achtmal hat sich ein Wirtschaftsminister über eine Entscheidung des Kartellamts hinweggesetzt, und diesmal ist das besonders bemerkenswert. Denn Gabriel will keine Industrie retten, keinen nationalen Champion bauen, er argumentiert nicht mit Europa oder dem Weltmarkt, sondern er will schlicht Arbeitsplätze erhalten. Und der Politiker glaubt allen Ernstes, das ließe sich am besten durch Stillstand erreichen: Auf etliche Jahre darf Edeka keine Jobs abbauen, mehr noch: Fünf Jahre lang darf keine Kaiser's-Filiale an selbständige Kaufleute der Edeka-Gruppe abgegeben werden. Dabei ist gerade das Prinzip der Selbständigkeit vieler Filialen das Erfolgsrezept von Edeka - weil eben Eigenverantwortung und genaue Kenntnis der Situation vor Ort bessere Wachstumstreiber sind als Anordnungen aus einer fernen Firmenzentrale. Hier gab es nachweislich am meisten Dynamik, hier sind die meisten Jobs entstanden.

Wenn Gabriel Arbeitsplätze sichern oder gar schaffen will, hätte er diese Dezentralisierung und Flexibilisierung zulassen, ja sogar erzwingen müssen. Er hätte ferner (das war ein Vorschlag des Kartellamts gewesen) zur Bedingung einer Ministererlaubnis machen können, dass Edeka bestimmte Kaiser's-Tengelmann-Filialen an Wettbewerber weiterreicht.

Stattdessen hat er Strukturen zementiert mit der Folge, dass der Jobabbau, den er heute verhindert, in ein paar Jahren, wenn die Auflagen auslaufen, ziemlich sicher kommt. Das wird dann umso bitterer sein, weil bis dahin viel Zeit verspielt worden sein wird, die Organisation zu verbessern und die Strukturen anzupassen. So günstig wie im Moment werden die Rahmenbedingungen für Umbauten im seit Langem schwächelnden Tengelmann-Reich wohl nicht mehr werden.

Gabriel beruft sich gerne auf den Architekten des deutschen Nachkriegswohlstands, Ludwig Erhard. Doch dessen Wirtschaftswunder ist genau anders herum entstanden: Erst kam die Freiheit des Marktes, dann das Wachstum, dann bei Bedarf politische Korrekturen. Das ist der bessere Weg, um Jobs zu sichern. Freilich muss man dazu dem Markt vertrauen. Was Gabriel erkennbar nicht tut.

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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