Kommentar:Merkels Bumerang

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Dem Klima zuliebe rät die Kanzlerin anderen Staaten, in eine saubere Zukunft zu investieren. Recht hat sie. Ihre eigene Koalition aber verzettelt sich in der Vergangenheit.

Von Michael Bauchmüller

Für den Delegierten aus Saudi-Arabien hatte die Kanzlerin auch noch ein paar Ratschläge parat, sie waren wirklich wertvoll. "Ich kann Sie nur ermutigen, gleich in die neueste Technologie zu investieren", sagt Angela Merkel. Das sei vielleicht etwas teurer. "Aber Sie werden in 10, 15 Jahren als großer Gewinner dastehen." Schließlich spare neue Technologie auch Energie. Und das sei eben nötig, wolle man das Klima schützen.

Weise ist der Rat, und doch ein Bumerang. Weise, weil darin eine einfache Wahrheit steckt: Klimaschutz wird jetzt gemacht, nicht in irgendeiner fernen Zukunft. Jeder Euro und jeder Dollar in neue Gebäude, neue Kraftwerke, neue Bohrlöcher oder Pipelines schreibt zugleich die weitere Erhitzung der Erde fest; er schafft Besitzstände, die aufs Letzte verteidigt werden wollen. Wer in die Zukunft investieren will, muss vom Ende her denken - vom fernen Ziel einer klimaneutralen Welt. Das genau meint Merkel. Nur ist es ein Bumerang, weil auch diese Koalition allzu oft vom Anfang her gedacht hat: Sie hat den Status quo verwaltet, statt eine saubere Zukunft zu gestalten.

Den Sieg der Elektromobilität begleitet die Koalition mit großen Worten. Es fehlen die Taten

Beispiele finden sich zuhauf. Den Siegeszug der Elektromobilität begleitet die Koalition zwar mit großen Worten. Dass die nötige Infrastruktur nur zäh entsteht, der Mangel an Tankstellen der zentrale Engpass bleibt - das kümmert sie wenig. Stattdessen reden auch Regierungsvertreter dem Diesel das Wort, als klimafreundliche Alternative zum Benziner. Dass sich mit Diesel das Klima retten lässt, glauben aber vermutlich nicht einmal die Saudis.

Die Energiewende preist auch die Kanzlerin als großen deutschen Beitrag zum Klimaschutz. Doch für den Ausbau hat die Bundesregierung Obergrenzen gezogen, auch mit Blick auf die Kosten. Dabei sind die mittlerweile massiv gefallen, wie auch Merkel weiß. Um einen planvollen Kohleausstieg aber, der die Energie wende zwangsläufig flankieren müsste, haben Union und SPD einen Bogen gemacht - mit Rücksicht auf die Interessen der Arbeitnehmer. Stattdessen dürfen in Deutschland nach wie vor neue Tagebaue aufgeschlossen werden. Ob die Kanzlerin Saudi-Arabien auch raten würde, neue Ölquellen zu erschließen? Wohl kaum.

Stattdessen riet sie ihm, beim Bau neuer Häuser gleich auf die Energieeffizienz zu achten. Richtig! Das geschieht auch in Deutschland. Ein Steuerbonus aber, der hierzulande Hausbesitzer zur klimafreundlichen Sanierung locken sollte, versandete: Bund und Länder konnten sich nicht darauf einigen, wer die Steuerausfälle trägt. Dabei hätte es auch hier in zehn, 15 Jahren einige "große Gewinner" geben können, darunter auch das Weltklima.

Die Folge der Zauderei: Seit Jahren oszilliert der deutsche Treibhausgas-Ausstoß um die Marke von 900 Millionen Tonnen. Vom Ende her gedacht, müsste der aber 2050 schon unter 250 Millionen liegen, 2030 unter 600 Millionen - und bereits 2020 bei 750 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Das ist in gut drei Jahren. Mitten in der nächsten Legislaturperiode.

Ohne Zweifel hat die Physikerin Merkel die Tragweite des Klimaproblems begriffen, vermutlich sogar wie kaum ein anderer Staats- und Regierungschef. Und ohne Zweifel gibt es auf der Welt derzeit noch ein paar ernstere Schwierigkeiten als die maue Klimabilanz dieser Bundesregierung - etwa einen Donald Trump, den Merkel dieser Tage beim Treffen des Industriestaaten-Clubs G 7 in Sizilien trifft. Aber welchen der klugen Ratschlägen an Saudi-Arabien beherzigt Deutschland? Wie viel Wandel und Klimaschutz finden sich im nächsten Koalitionsvertrag, bei dem Merkel ja womöglich noch einmal mittexten wird? Wie steht es um die deutschen Emissionen im nahen Jahr 2020?

Die Kanzlerin verweist in dem Zusammenhang gerne auf die heiklen Verhandlungen, wenn es mit dem Klimaschutz ernst wird. Das mag sein. Kein Kumpel im Tagebau, kein Arbeiter im Autowerk opfert gerne der Politik seinen Job. Technologischer Wandel heißt Strukturwandel - und verlangt kluge Strukturpolitik. Denn der Wandel ist, vom Ende her gedacht, unausweichlich. Er wird nur umso härter, je weiter die Politik ihn hinauszögert. Wer abwartet, bis elektrische Wettbewerber den Diesel wegfegen, hat der hiesigen Industrie einen schlechten Dienst erwiesen.

Unübersehbar geraten die Moleküle in Bewegung, auch dank des Klimavertrages von Paris. China und Indien verzichten auf neue Kohlekraftwerke und investieren in Sonne und Wind, Peking forciert das Elektroauto. Selbst ein globaler Preis für Kohlendioxid ist nicht mehr nur nette Vision. Vom Fernziel 2050 her beurteilt, wird der Markt für grüne Produkte massiv wachsen. Wie bitter wäre es, wenn sich deutsche Politik in der Vergangenheit verstrickt, statt die Zukunft zu greifen.

© SZ vom 24.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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