Kommentar:Kleines Karo,  große Linie

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Die Vorstellungen von Deutsch­land und Frankreich, wie die Währungsunion krisenfest gemacht werden soll, gehen auseinander. Einiges spricht für den Ansatz von Macron.

Von Cerstin Gammelin

Es ist bemerkenswert, dass zwanzig Jahre nach Einführung des Euro alles beim Alten ist im deutsch-französischen Verhältnis. Der eine schreibt kleines Ordnungskaro, der andere skizziert große Linien. Bundeskanzlerin Angela Merkel reichen ein Europäischer Währungsfonds und ein kleiner Investitionshaushalt, um die Währungsunion krisenfest zu machen. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron besteht dagegen auf einem gut gefüllten Geldtopf, aus dem flexibel geschöpft wird bei antizyklischen Krisen - wenn etwa Irlands Wirtschaft nach einem harten Brexit kollabierte oder die spanische nach einem Austritt Kataloniens.

Kredite gegen Reformen oder steuerliche Großzügigkeiten zum Ankurbeln der Wirtschaft, Merkel oder Macron also - was ist zu tun? Die Antwort darauf leitet sich aus der Überlegung ab, warum überhaupt jetzt reformiert werden soll. Ausgerechnet, da alle Volkswirtschaften des Währungsraumes gedeihen, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Aussichten gut sind. Warum also an den Rädchen drehen, noch dazu, wenn doch die Erfahrung lehrt, dass sich die Europäische Union immer nur dann weiterbewegt hat, wenn es scheinbar um ihre Existenz ging?

Bricht das Wachstum ein, dann könnte eine Spirale in Richtung Krise in Gang kommen

Die Antwort liefert ein Blick ins Innere der Gemeinschaft, etwa nach Italien, und einer über die Grenzen der Europäischen Union. In Washington sitzt ein Präsident, der für sein Land die besten Deals auszuhandeln versucht und dabei alle Regeln bricht. Sei es beim Handel, beim Klimaschutz oder dem Iranabkommen. Das Risiko, dass es zu Kollateralschäden für europäische Unternehmen und damit die wirtschaftliche Entwicklung kommt, ist hoch. Bricht aber das Wirtschaftswachstum ein, könnten Jobs wieder verloren gehen, Investoren wegbleiben, Märkte nervös werden. Kurz, es könnte im Euro-Land eine Spirale in Gang kommen, an deren Ende eine akute Krise stünde - verbunden mit enormem Handlungsdruck, um den Euro zu retten. Weil das absehbar ist, muss vorsorglich reformiert werden. Es ist richtig, das jetzt zu machen.

Dass die Euro-Zone wirtschaftlich stabil dasteht, hat sie weniger nationalen Anstrengungen als vielmehr der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank zu verdanken. Mit den groß angelegten Aufkaufprogrammen für Staats- und Unternehmensanleihen hat die Notenbank für Liquidität und ruhige Märkte gesorgt. Präsident Mario Draghi hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Regierungen die gewonnene Zeit für Reformen nutzen müssen.

Staaten, die einer Währungsunion beitreten, verzichten auf eine von zwei Möglichkeiten, um wettbewerbsfähiger zu werden. Auch die Mitglieder der Euro-Zone haben ihre Möglichkeit, über das Auf- und Abwerten ihrer Währung die Wirtschaft zu steuern, an die Zentralbank abgegeben. Die hat versucht, eine Geldpolitik für alle zu machen; die Aufkaufprogramme laufen aber aus. Den Euro-Staaten bleibt die Fiskalpolitik, um über steuerliche Entlastungen und Investitionsförderung wettbewerbsfähiger zu werden. Genau das hat Frankreich im Sinn, wenn es fordert, die Fiskalpolitik enger abzustimmen und eine Fiskalkapazität einzurichten.

Es liegt in der Logik der französischen Argumentation, dass eine Fiskalkapazität finanziell gut ausgestattet werden muss. Das kann über eine gemeinsame Steuer geschehen, gemeinsame Anleihen oder nationale Beiträge. Es ist ein Plan, der deutsche Ökonomen den Kopf schütteln und das Unwort einer Haftungsunion hervorkramen lässt, um ihn abzuwehren.

Andersherum legt man in Paris die Stirn in Falten ob der Merkel'schen Vorschläge, die trotz des Ernstes der Lage gewohnt kleinlich erscheinen. Der Europäische Währungsfonds darf im größten Notfall Kredite gegen Strukturreformen und Sparauflagen vergeben und, wenn etwa Irland oder Spanien durch Abspaltungsbewegungen getroffen werden, kurzlaufende Kredite mit wenig Auflagen. Daran ist nichts auszusetzen. Das Konzept taugt aber nicht für die ganz große Krise, eine wie 2011/2012, als die Märkte gegen die Euro-Länder wetteten und Draghi einschreiten musste mit der Ansage, den Euro zu retten, "whatever it takes".

Zur Wahrheit gehört, dass der Europäische Währungsfonds zu klein wäre, um etwa Italien aus der Krise zu helfen. Die Finanzreserven liegen bei rund 400 Milliarden Euro. Müsste er die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone refinanzieren helfen, wäre das Geld nach zwei Jahren weg. Das ist nur eine Rechnung, aber sie zeigt, dass Merkels Euro-Plan nicht die gestellte Aufgabe erfüllt, die Währungsunion krisenfest zu machen. Ohne Annäherung an Paris wird es nicht gehen.

© SZ vom 07.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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