Kommentar:Jeder hat Bedürfnisse

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Erben, die ein besonders großes Vermögen erhalten, können sich künftig einer "Bedürfnisprüfung" unterwerfen. Das klingt absurd, ist es auch. Und dem normalen Steuerzahler kaum zu vermitteln.

Von Ulrich Schäfer

Manchmal stehen in Gesetzen seltsame Begriffe, und der zentrale Begriff, der im neuen Gesetz zur Erbschaftsteuer stehen wird, ist besonders seltsam. Denn Erben, die ein besonders großes Vermögen erhalten, können sich künftig einer sogenannten "Bedürfnisprüfung" unterwerfen. Dies bedeutet: Wer eine Firma im Wert von mehr als 26 μMillionen Euro erbt, der kann das Finanzamt künftig prüfen lassen, ob er denn in der Lage ist, die darauf fällige Erbschafsteuer aus seinem übrigen Privatvermögen zu entrichten - oder ob er nicht doch so arm ist, dass der Fiskus ihn besser verschonen sollte.

Klingt absurd. Und ist es auch.

Denn dem normalen Steuerzahler kann man eigentlich kaum vermitteln, dass das Finanzamt nun ausgerechnet bei den reichsten Menschen der Republik haarklein prüft, ob sie sich eine Steuerzahlung ans Finanzamt leisten können - oder nicht. Solch eine "Bedürfnisprüfung" würde sich eigentlich jeder Steuerzahler wünschen: gerade Familien und Alleinerziehende, die jeden Euro umdrehen müssen, weil sie wenig verdienen und noch Kinder durchbringen müssen; gerade die Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die unter hohen Mieten und teuren Kita-Gebühren leiden. Wäre doch schön, wenn man dem Finanzamt darlegen könnte, dass man sich - leider, leider - in diesem Jahr die Einkommensteuer nicht leisten könne, weil man sonst die eigenen Bedürfnisse nicht decken kann; und schon wird man von der Steuer verschont.

Wirklich gerechter wird das Steuerrecht durch die Ausnahme für Millionenerben nicht

Zugegeben: Dies ist eine zugespitzte Argumentation. Man kann ihr vieles entgegenhalten, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen werden. Oder auch: dass es bei der nun beschlossenen "Bedürfnisprüfung" für Erben um etwas sehr viel Grundsätzlicheres gehe - um den Erhalt von Jobs. Die "Bedürfnisprüfung" soll nämlich verhindern, dass ein Firmenerbe gezwungen wird, ein Unternehmen zu verkaufen oder gar zu zerschlagen, weil er die fällige Erbschaftsteuer aus seinem Privatvermögen nicht aufbringen kann.

Klar, auch so kann man argumentieren. Und doch offenbart die "Bedürfnisprüfung" das ganze Elend der Erbschaftsteuer. Denn die Politik in Berlin hat, auf Drängen der Wirtschaft, die Erbschaftsteuer vor neun Jahren derart verändert, dass von Gerechtigkeit seither keine Rede mehr sein kann: Wer ein Unternehmen erbt, ist - wenn er es in Gänze erhält - von der Steuerpflicht befreit; wer hingegen Geld oder Vermögen erbt, wird vom Fiskus teils kräftig zur Kasse gebeten.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Ungerechtigkeit vor eineinhalb Jahren, im Dezember 2014, zu Recht moniert und der Politik den Auftrag erteilt, bis um 30. Juni 2016 ein neues Gesetz zu schaffen. In letzter Minute, nach monatelangen, nervtötenden Verhandlungen, haben sich CDU, CSU und SPD nun auf einen Kompromiss geeinigt. Dieser hat zur Folge, dass ein ohnehin schon kompliziertes Gesetz durch allerlei Zusatz- und Ausnahmeregeln noch komplizierter wird, was aus der Sicht normaler Steuerzahler zwangsläufig neue Ungerechtigkeiten zur Folge hat. Zu diesen Ungerechtigkeiten zählt insbesondere die "Bedürfnisprüfung".

Nun muss man der großen Koalition in Berlin zugutehalten, dass sie diesen Begriff samt den Gedanken dahinter nicht selber erfunden hat. Das Unwort "Bedürfnisprüfung" hat sich ausgerechnet das Verfassungsgericht ausgedacht, fast das gesamte Urteil aus dem Dezember 2014 hangelt sich an diesem Begriff entlang. Die von ihm geforderte "Bedürfnisprüfung" sollte den entscheidenden Mangel des bisherigen Gesetzes heilen: dass Firmenerben - wenn sie den Betrieb zur Gänze fortführen und alle Jobs erhalten - generell von der Erbschaftsteuer verschont werden; auch ganz reiche Erben, die Firmen im Wert von ein paar Hundert Millionen Euro oder gar Milliarden erben. Insofern ist es natürlich ein Fortschritt, dass Erben ab einem Firmenvermögen von 26 Millionen Euro künftig vielleicht doch Geld ans Finanzamt zahlen müssen.

Aber gut gemeint ist nicht unbedingt gut. Wirklich gerechter wird das Steuerrecht durch diese Ausnahmeregel für Millionenerben aber nicht, auf die sich die große Koalition nicht zuletzt auf Drängen der Wirtschaft verständigt hat.

Es ist daher zu hoffen, dass sich irgendwer findet, der auch gegen das neue, auch an anderer Stelle verkorkste Gesetz vor Gericht zieht. Und dass am Ende, wenn das Verfahren wieder in Karlsruhe landet, die Richter des Bundesverfassungsgerichts ein wenig mehr Weisheit walten lassen - und die Politik nicht dazu nötigen, neue Ausnahmen zu schaffen, sondern diese abzuschaffen: im Sinne einer gleichmäßigen und angemessenen Steuer auf alle vererbten Vermögen.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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