Kommentar:Hilfen für Großfamilien

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Es muss etwas geschehen. Nirgendwo kommen weniger Kinder zur Welt als hier. Mit der Vergreisung verliert Deutschland auch Dynamik.

Von Marc Beise

In Deutschland werden zu wenige Kinder geboren, diese Nachricht ist nicht exklusiv, aber man kann jetzt noch eines draufsetzen. Eine neue Statistik sieht Deutschland weltweit auf dem letzten Platz, schlechter geht's nicht. Gezählt haben das Forscher des Weltwirtschaftsinstituts in Hamburg, die sich einen speziellen Zeitraum ausgeguckt und dafür einen Durchschnittswert errechnet haben: die vergangenen fünf Jahre. Rechnet man anders, liegen vielleicht noch ein paar Staaten hinter Deutschland: Korea oder Singapur - aber macht es das besser?

Nein. Natürlich müsste jetzt ein Alarmruf durchs Land gehen, aber dazu wird es nicht kommen. Schon bisher war ja keine übermäßige Unruhe auszumachen, satt und saturiert steuern die Deutschen ins Nirwana. Beruhigen sich damit, dass eine alternde Gesellschaft ja besser ist als ihr Ruf, die Menschen sind länger fit und leistungsfähig, und im Übrigen hilft ja aktuell auch die Zuwanderung, die Wunden der Statistik zu lindern. Was übersehen wird: Wenn die Kinder wegbleiben, dann schrumpft eine Gesellschaft auf längere Sicht und vor allem: Sie vergreist mental, sie verliert ihre Dynamik. Forschung, Entwicklung, Gründertum leben vom Ungestüm der Jugend. Es sind die jungen Gesellschaften, die in der Welt etwas reißen. Deutschland lebt von der Substanz.

Egal wie viel Geld an Familien fließt, Deutschland wird dadurch nicht kinderfreundlicher

Also müsste man was tun. Die Wirtschaft verweist auf die Politik, als ob sie selbst nicht am meisten vom Kinderreichtum profitieren würde. Die Politik müht sich redlich. Verbessert mal hier ein paar Konditionen, mal dort. Verweist auf die Summe von insgesamt mehr als 150 Leistungen für Familien - und wundert sich, dass die Zahl der Geburten trotzdem nicht nennenswert steigt. Liegt das womöglich daran, dass das Wort des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer: "Kinderkriegen die Leute von alleine" heute umgekehrt ebenso apodiktisch gilt? Dafür kann man dann den Zeitgeist verantwortlich machen, die wachsende Zahl der Singles, den Drang zur Selbstverwirklichung zulasten des Gemeinsinns.

Und anderswo? In Ungarn dagegen hat die Familienpolitik unter der konservativen Regierung des Viktor Orban hohe Priorität, prompt steigt die Zahl der Geburten, das sieht nach einem Muster aus - aber nur auf den ersten Blick. In Singapur beispielsweise helfen staatliche Förderungen nicht. Und in Großbritannien gibt es viele Kinder, obwohl dort die Regierung sich zurückhält, die Kosten für Bildung hoch sind und das Kindergeld sehr niedrig. In den USA gibt es nicht einmal ein flächendeckendes Recht auf bezahlten Mutterschutz - und dennoch eine stattliche Geburtenrate. Norwegen dagegen kennt traditionell hohe Kinderleistungen - und trotzdem geht seit einigen Jahren die Zahl der Kinder pro Frau zurück.

Die Franzosen wiederum haben wirtschaftlich allen Grund zum Pessimismus - und dennoch bekommen sie fröhlich viele Kinder. Hier könnte der Schlüssel liegen: In Frankreich ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie seit vielen Jahren ein anerkanntes Thema, ist in Wirtschaft und Gesellschaft gelebte Realität und führt dazu, dass das Land (bei allen Mühen besonders für die Mütter) kinderfreundlich daherkommt- ein Eindruck, den Deutschland nicht zu vermitteln vermag. Nicht um den Umfang der Familienförderung geht es, sondern um ihre Sichtbarkeit, ihre Plakativität, ihre Tradition. In Frankreich wird diese Tradition gelebt und beschworen, während in Deutschland den vielen unübersichtlichen Leistungen Hindernisse im Alltag gegenüberstehen. Kein Platz in der Krippe, und wenn, dann ein teurer. Ein störrischer Arbeitgeber, der den Eltern nur zubilligt, was unbedingt sein muss. Ein Steuerrecht, das Ehepaare fördert und nicht Familien. Ein Sozialversicherungsrecht, das bei den Beitragszahlungen noch kaum berücksichtigt, dass nur Eltern das System auf Dauer stützen, nicht Kinderlose.

Familienfreundlichkeit stellt man - auch diese Erkenntnis beschert der Blick nach Frankreich - auch über die Größe der Familie her. Untersuchungen zeigen, dass Paare sich in ihrer Entscheidung für das erste Kind kaum von finanziellen Anreizen beeinflussen lassen, bei weiteren Kindern schon. Die Franzosen fördern steuerpolitisch besonders das dritte Kind. So begann übrigens die Familienförderung Mitte der Fünfzigerjahre in Deutschland, mit Kindergeld ab dem dritten Kind, verbilligten Bahnfahrten und Eigenheimförderung für Kinderreiche.

Der Staat könnte ja mal damit anfangen, dass vom dritten Kind an der Platz in der Kita gesichert und kostenlos ist. Und die Unternehmen könnten den Eltern Freiheiten gewähren, von denen der Gesetzgeber noch nicht einmal zu träumen gewagt hat.

© SZ vom 02.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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