Kommentar:Hier irrt die EU-Kommission

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Brüssel darf nicht den Fehler begehen, die deutsch-französische Bahnfusion zwischen Siemens und Alstom zu gefährden. Äußerungen von EU-Kommissarin Vestager deuten darauf hin. Dabei hat das Projekt nur Vorteile.

Von Caspar Busse

Es ist das gute Recht und auch die Pflicht der EU-Kommission, den geplanten Zusammenschluss der Bahnsparten von Siemens und Alstom sehr genau zu prüfen. Immerhin würde ein deutsch-französischer Konzern mit fast 16 Milliarden Euro Umsatz und insgesamt 65 000 Jobs in aller Welt entstehen. Und natürlich hätten die beiden Unternehmen in einigen Bereichen zusammen eine durchaus starke Position am Markt: Siemens stellt zum Beispiel den ICE her, Alstom den TGV, es sind die beiden wichtigen europäischen Hochgeschwindigkeitszüge. Auch bei U-, S- und Trambahnen, bei Nahverkehrszügen oder in der Signaltechnik hätten beide zusammen Gewicht.

Doch es wäre ein großer Fehler der Brüsseler Behörde, wenn sie bei der wettbewerbsrechtlichen Prüfung der Fusion nur einzelne Märkte in Europa berücksichtigen würde, wonach es laut den Äußerungen von EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager aber derzeit aussieht. Denn die Bahntechnik ist längst ein weltweites Geschäft mit enormer Bedeutung geworden, auch wenn in vielen Ländern oft noch eigene und ganz spezielle Vorschriften gelten. Insbesondere in China entsteht derzeit ein Unternehmen, das in diesem Segment bald den Markt beherrschen könnte. Mit großer staatlicher Hilfe haben die Zughersteller dort fusioniert. Der neue Konzern mit dem Namen CRRC ist schon jetzt nach Umsatz gerechnet mehr als doppelt so groß wie Siemens und Alstom zusammen.

Siemens-Alstom könnte so etwas wie der "Airbus der Schiene" werden

Vestager hat mitgeteilt, dass sie es "zum jetzigen Zeitpunkt" für unwahrscheinlich halte, dass neue Anbieter aus China auf den Markt für Züge und Signaltechnik in Europa vordringen. Da irrt sie gewaltig. Zwar stimmt es, dass die Chinesen derzeit noch bei keinem wichtigen Projekt in der EU aktiv sind. Doch das wird sich mit Sicherheit bald ändern. Wie in vielen anderen strategisch wichtigen Bereichen haben die Chinesen auch in der Bahntechnik den Weltmarkt im Visier, sie werden versuchen, die Konkurrenz zu kopieren, mit besonders günstigen Angeboten zu unterbieten und am Ende so Zugang zu erhalten. In den USA hat CRRC im Großraum Boston oder in Los Angeles bereits Metro-Aufträge über mehrere Hundert Millionen Dollar gewonnen. Und gibt es erst ein Referenzprojekt, das läuft, werden weitere Aufträge leichter folgen. Die Deutsche Bahn hat vier Rangierloks bei CRRC bestellt.

Die chinesische Regierung hat die große Bedeutung der Bahntechnik längst erkannt: Es geht nicht mehr nur um Stahl, Waggons und Lokomotiven, sondern es geht um einen Zukunftsmarkt. Schon jetzt steigen Hunderte Millionen Menschen jeden Tag in einen Zug, sind auf die Bahn angewiesen. Künftig braucht es vor allem intelligente Bahnsysteme, um die weltweiten Verkehrs- und Umweltprobleme in den Griff zu bekommen.

Wenn Europa in diesem wichtigen Infrastruktur-Markt nicht den internationalen Anschluss verlieren soll (wie schon in vielen anderen Bereichen, etwa der Internettechnik), dann braucht es einen starken Anbieter. Siemens-Alstom, an dem die Münchner zunächst die Mehrheit halten sollen, könnte ein solches Unternehmen sein. Hier ist Größe auch besonders wichtig, denn nur so können die durchaus beträchtlichen Investitionen gestemmt und damit Innovationen möglich gemacht werden.

Europa hat schon einmal mit Erfolg gezeigt, wie es geht: Vor rund 20 Jahren fusionierten die europäischen Flugzeugproduzenten. Airbus ist heute einer der großen Hersteller und Entwickler von Flugzeugen weltweit, mit vielen positiven Effekten auch für andere Wirtschaftsbereiche. In einigen Bereichen liegt das - übrigens ebenfalls deutsch-französische - Unternehmen sogar vor dem amerikanischen Konkurrenten Boeing. Siemens-Alstom könnte ein europäischer Champion werden, ein "Airbus der Schiene".

All das muss die EU-Kommission bei ihrer Prüfung von Siemens-Alstom in Betracht ziehen - zum Vorteil der Nutzer und zum Vorteil Europas.

© SZ vom 16.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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