Kommentar:Heikle Operation

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US-Notenbank-Chefin Yellen sieht gute Chancen, dass der Leitzins bald wieder steigt. Das wäre auch dringend notwendig. Denn sonst geraten die Notenbanken in Amerika und Europa in die Gefahr, bei der nächsten Krise wehrlos dazustehen.

Von Claus Hulverscheidt

Manchmal fragt man sich, wie das in den vergangenen Wochen und Monaten wohl gelaufen wäre, wäre Janet Yellens Vorvorgänger noch im Amt. Wahrscheinlich hätte Alan Greenspan so lange vor sich hin genuschelt, so viele Andeutungen gemacht und Fährten gelegt, bis am Ende jeder alles und keiner nichts mehr gewusst hätte. So lief es in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, als eine Handbewegung des Magiers von Washington ausreichte, um die Finanzmärkte zu beruhigen oder auch in Wallung zu versetzen. Die Orakelei endete übrigens in der schlimmsten Finanzkrise aller Zeiten, deren Entstehen Greenspan durch seine viel zu lockere Geldpolitik beförderte und mit deren Folgen die Welt noch heute zu kämpfen hat.

Es ist deshalb in jeder Hinsicht gut, dass in Yellen mittlerweile eine Frau an der Spitze der US-Notenbank steht, die von Magie wenig hält und die Fed stattdessen mit klaren, eindeutigen Botschaften durch unsichere Gewässer steuert. Die jüngste Botschaft lautet, sie hat sie gerade erst wieder bestätigt: Sollten die Konjunkturindikatoren in den USA in den nächsten Wochen weiter nach oben zeigen, und sollte auch der Rest der Welt von schweren wirtschaftlichen Rückschlägen verschont bleiben, dann wird die Fed in diesem Herbst erstmals seit fast sieben Jahren die Leitzinsen wieder anheben.

Es ist eine heikle Operation, denn die Märkte haben sich in den vergangenen Jahren nicht nur an das billige Notenbankgeld gewöhnt. Vielmehr weichen darüber hinaus die geldpolitischen Zyklen in den Vereinigten Staaten und Europa derzeit so weit voneinander ab, dass eine US-Zinserhöhung der Funken sein könnte, der eine Eruption von globalen Kapitalverschiebungen auslösen könnte. Denkbar ist beispielsweise eine Flucht der Anleger in den Dollar, der den Kurs der US-Währung weiter in die Höhe treibt und die Exportwirtschaft in Schwierigkeiten bringt. Gut möglich, dass die Fed dann schon bald ihre eigene Zinspolitik durch Interventionen am Devisenmarkt flankieren - man könnte auch sagen: konterkarieren - müsste.

Die lockere Geldpolitik hat dazu zur Bildung neuer Spekulationsblasen beigetragen

Und dennoch: Eine Straffung der Geldpolitik noch in diesem Jahr wäre richtig, notwendig und angemessen. Für einen solchen Schritt spricht zunächst einmal die inneramerikanische Entwicklung. Die Wirtschaft wächst im sechsten Jahr, daran ändert auch der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal nichts. Er war, so sehen es mittlerweile fast alle Beobachter, im Wesentlichen auf den harten Winter, eine Reihe von Streiks und auf Schwierigkeiten der Statistiker bei der Berechnung saisonaler Störfaktoren zurückzuführen. Auch der für die Fed wichtigste Konjunkturindikator, die Arbeitslosenquote, liegt schon seit einigen Monaten unter der Marke von sechs Prozent, die Yellen und ihre Kollegen selbst als game changer definiert haben.

Darüber hinaus hat die ultralockere Geldpolitik der letzten Jahre dazu beigetragen, dass sich an den Finanzmärkten bereits wieder Spekulationsblasen gebildet haben, die, wenn nichts dagegen unternommen wird, den Nährboden für die nächste große Krise bilden könnten. Insbesondere an den Aktienmärkten haben sich die Kurse ein ganzes Stück von den Werten entfernt, die sich durch die wirtschaftliche Entwicklung rechtfertigen ließen. Das Gleiche gilt für Teile des Immobilienmarkts und auch für den Autoabsatz, der angekurbelt wird, indem man Menschen, die sich eigentlich kein Auto leisten können, billige Kredite andient. Genau so, man erinnere sich, hatte es vor über 15 Jahren beim Bau und Verkauf von Einfamilienhäusern auch begonnen.

Doch auch jenseits der aktuellen Daten gibt es einen guten Grund, warum die Fed die Zinswende alsbald einleiten sollte: Noch nämlich steht weltweit der Beweis aus, dass eine solche Wende überhaupt möglich ist. Sowohl die amerikanische als auch die Europäische Zentralbank haben sich bei der Bekämpfung der jüngsten Weltwirtschaftskrise auf unsicheres Terrain begeben, indem sie die Zinsen bis auf null senkten und in großem Stil staatliche wie private Wertpapiere aufkauften. Mittlerweile sind ihre Waffenkammern leer - sollte die nächste Krise ausbrechen, stünden Fed und EZB beinahe wehrlos da. Es ist daher zumindest in den USA höchste Zeit, die Flutung der Märkte mit billigem Geld einzustellen und schrittweise zu normalen Zinssätzen zurückzukehren.

Eine ganze Reihe von Kritikern hat in den vergangenen Jahren gemutmaßt, dass es den Notenbanken nicht gelingen wird, den selbst entfachten Rausch zu beenden und die Finanzmärkte wieder auf Entzug zu setzen. Janet Yellen muss nun den Beweis antreten, dass die Geldpolitik die Dinge entgegen aller Unkenrufe im Griff hat.

© SZ vom 14.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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