Kommentar:Hauptsache Urlaub

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Er bleibt in Deutschland die populärste Form des Glücks. Wie die Menschen dieses Glück verwirklichen, sollte man ihnen überlassen - auch in unsicheren Zeiten.

Von Michael Kuntz

Urlaub bleibt in Deutschland die populärste Form des Glücks. Fast jeder lächelt, wenn er gefragt wird: Wie war der Urlaub? Entsprechende Beachtung findet in dieser Woche die Reisemesse ITB in Berlin, das weltweit größte Treffen einer Branche, deren Wohl und Wehe eng verknüpft mit Krisen und Katastrophen und mit dabei ausgelösten Ängsten ist, den realen und den irrealen. Hinter der Reiseindustrie liegt ein Jahr, in dem manchem das unbefangene Lächeln beim Thema Urlaub vergangen ist.

Nun verwandelt sich das Messegelände unter dem Berliner Funkturm für fünf Tage in ein Schaufenster touristischer Ziele. Partnerland ist Botswana; das klingt interessant, wird aber im Ernst keinen richtig interessieren.

Eigentlich geht es bei einer Reisemesse ja darum, wohin man mal fahren könnte. Doch das beherrschende Thema in diesem Jahr war schon vor der Eröffnung der ITB an diesem Dienstagabend, wohin man mal besser nicht fahren sollte.

Terroristische Taten und politische Entwicklungen haben das Verhalten verändert, und es gibt hinsichtlich gleich mehrerer Staaten und Regionen für viele zumindest Zweifel, ob sie als Urlaubsziele aktuell geeignet sind. Touristen sind scheue Konsumenten und wenn sie erst einmal irgendwo nicht mehr hinfahren, müssen sie mühsam zurückgewonnen werden. Diese bittere Erfahrung durchlebt gerade Nordafrika, das am Ufer des Mittelmeeres liegt, aber eben am falschen. Noch dramatischer ist die Situation in der Türkei. Sie war mal eines der beliebtesten Urlaubsziele der Deutschen, mit fünf Millionen Gästen pro Jahr. Nun reisen nicht einmal halb so viele dorthin - was bitter ist fürs dortige Tourismus-Geschäft. Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping hat vor die ITB einen Boykott-Aufruf gesetzt: ein bemerkenswerter politischer Einfall, etwas zu verlangen, was das Volk seit einem Jahr faktisch praktiziert.

Ob der Boykott eines Reiselandes eine angemessene Reaktion auf politische Vorgänge ist, lässt sich bezweifeln, und zwar aus mindestens drei Gründen: Erstens schadet das Fernbleiben den Arbeitnehmern einer Branche, deren führende Vertreter sich in der Vergangenheit nicht gerade als Erdoğan-Freunde profiliert hatten. Zweitens stellt so ein Aufruf zum Boykott auch immer eine gewisse Bevormundung dar. Urlauber dürfen nicht als Aushilfspolitiker missbraucht werden. Wer das ganze Jahr gearbeitet hat, soll frei entscheiden dürfen, wie und wo er seine Ferien verbringen soll. Moralische Maßstäbe, politische Taktik oder schlichte Überlegungen zur Sicherheit, das alles sollte jeder selbst abwägen dürfen, solange er niemanden in Gefahr bringt. Drittens ist Tourismus ja die Begegnung mit fremden Menschen, die man näher kennenlernen möchte. Es ist die Neugier auf Neues, die Reisende in ungewohnte und nicht immer bequeme Gegenden treibt, zu Menschen, die anders leben und denken. Das ist eine Chance für Touristen und Gastgeber, zumindest eines zu trainieren: Toleranz. Wer darauf verzichtet und zu Hause bleibt, sollte sich überlegen, ob er den Verzicht auf Weltoffenheit wirklich möchte.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Debatte zu sehen, die gerade en vogue ist, ob eine Reise in die USA opportun ist. Die Leute, die Reisen in die USA verkaufen, können den von manchen Demoskopen eruierten negativen Trump-Effekt jedenfalls nicht nachvollziehen. Vielleicht kommt es ja wie an den Aktienbörsen im Tourismus sogar zu einem positiven Trump-Effekt?

© SZ vom 08.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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