Kommentar:Gut für das Finanzamt

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Die geplante elektronische Steuererklärung bringt den Bürgern kaum Vorteile. Sie ist eine Reaktion auf den Personalmangel und das Nachwuchsproblem der Finanzämter. Deshalb birgt sie große Risiken.

Von Guido Bohsem

Wer sich das "Gesetz zur Modernisierung des Steuerverfahrens" durchliest, kommt schnell zu dem Schluss: Eine "Killerapplikation" ist das nicht. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erfindet die Art und Weise, wie die Bundesbürger ihre Steuern zahlen, nicht neu. Im Gegenteil, nur ein geringer Teil der Arbeitnehmer wird überhaupt merken, was sich so alles ändert. Von den Möglichkeiten der Digitalisierung, die das Gesetz ausloten soll, profitieren nämlich zuallererst die Finanzämter. Und das ist ein Fehler.

Weil der Beruf des Steuerbeamten nicht zu den Top Ten der Traumjobs gehört, geht den Behörden das Personal aus. Schon jetzt schieben die Ämter ein deutliches Nachwuchsproblem vor sich her. Und die schwindende Zahl der Mitarbeiter sieht sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren einer immer höheren Zahl von Standard-Steuererklärungen gegenüber, weil immer mehr Rentner steuerpflichtig werden etwa oder es immer mehr Singles gibt.

Der Personalmangel ist schon offensichtlich. Immer mehr Steuererklärungen werden nur noch dann von den Beamten geprüft, wenn ihnen vorher eine Software anzeigt, dass es sich um einen kniffligen Fall oder eine gewagte Interpretation des Steuerrechts handelt. Über viele Erklärungen beugt sich gar kein Beamter mehr. Sie werden vollständig automatisiert bearbeitet.

Das neue Gesetz befördert diesen Trend. Das spart Personal, aber es birgt auch Gefahren. Vor allem ist das Prinzip gefährdet, wonach der Fiskus jedermann gleich behandeln soll. Wer (oder wessen Steuerberater) weiß, bei welchen Punkten das System nicht so sensibel reagiert, bleibt womöglich unter dem Radar der Kontrolleure und muss weniger Steuern zahlen als andere. Unterschiedliche Behandlungen sind aber nicht nur zwischen einzelnen Steuerzahlern möglich, sondern können auch durch unterschiedliche Wohnorte entstehen. Mitunter sind die Kontrollsysteme in einem Bundesland laxer als im anderen.

Sollten immer mehr Menschen den Verdacht schöpfen, die Finanzbehörde messe aus Personalgründen mit zweierlei Maß, hätte das verheerende Konsequenzen. Denn wer davon ausgehen muss, dass das System ohnehin nicht gerecht ist, dürfte alsbald auch keinen Anlass mehr sehen, selbst ehrlich zu handeln. Wozu das führt, lässt sich in Staaten wie Griechenland bestens ablesen.

Wohl wahr, das Gesetz sieht Vorkehrungen vor, diese Fälle zu verhindern. Ob diese allerdings ausreichen, wird zum Beispiel von der Steuergewerkschaft bezweifelt, die sich stattdessen wünscht, dass die Behörden den Arbeitsplatz im Finanzamt attraktiver machen.

Zudem dürfte die zunehmend digitalisierte Steuerverwaltung beim Steuerzahler Fragen über Datensicherheit und -missbrauch aufwerfen. Diese sind aber weitgehend unbegründet. Schließlich ist es den Finanzbehörden schon jetzt möglich, ungeheuer viele Informationen zu erheben. Der durchschnittliche Steuerzahler steht gewissermaßen nackt vor dem Fiskus. Ein Bankgeheimnis gibt es seit Langem nicht mehr.

Das größte Manko des Gesetzes ist, dass die Steuerzahler nicht von der Digitalisierung profitieren

Müssen die Daten im Finanzamt sicher sein? In Deutschland würde man die Frage noch mit Ja beantworten. Doch wenn man sich die Praxis zum Beispiel in Schweden anschaut, könnten einem Zweifel kommen, ob die Sicherheit der Finanzdaten von so großer Bedeutung ist. Dort nämlich werden alle Steuererklärungen veröffentlicht. Jeder weiß, was sein Nachbar verdient. Von Datenmissbrauch spricht in diesem Zusammenhang keiner.

Das größte Manko des Gesetzes ist aber, dass die Steuerzahler so gut wie gar nicht von den Vorteilen der Digitalisierung profitieren. Nichts wird wesentlich simpler oder schneller. Der Verbraucher sieht den Segen praktischer und nützlicher Anwendungen überall, aber nicht bei seiner Steuererklärung.

Dabei müsste der zentrale Gedanke einer "Modernisierung des Steuerverfahrens" sein, dass es einfacher wird. Die Steuererklärung muss einfacher, intuitiver, nutzerfreundlicher, womöglich sogar interaktiv werden. Der Fiskus sollte alles dafür tun, dass die Bundesbürger im Schnitt nicht mehr über sechs Stunden für das Ausfüllen ihrer Steuererklärung brauchen, sondern nur noch drei. Eine Steuererklärung, so einfach wie die Bauanleitung für ein Billy-Regal von Ikea? Das ist kein Hexenwerk. Das geht.

© SZ vom 10.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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