Kommentar:Geld oder Gewissen

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Agrarminister Christian Schmidt will vorbildliche Tierhaltung künftig mit einem Label für die Verbraucher belohnen. Statt gequälte Kreaturen zu schützen, schiebt er damit die Verantwortung für das Leid auf die Supermarktkunden ab.

Von Kristiana Ludwig

Tieren in deutschen Ställen soll es besser gehen, fordert Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Deshalb will er nun Fleisch- und Milchprodukte kennzeichnen, die aus besonders guter Haltung stammen. Schmidt gibt damit den Bürgern die Entscheidung, wie Nutztiere in Deutschland leben sollen, selbst in die Hand. Sie können im Supermarkt wählen, ob sie ihr Steak lieber von weniger glücklichen oder von besonders gut gehaltenen Tieren bekommen wollen - und welchen Preis sie dafür zahlen. Zunächst klingt dieses staatliche Tierwohllabel vielversprechend, nach Aufklärung von mündigen Verbrauchern und nach Demokratie. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Indem die Bundesregierung statt klarer Tierschutzregeln freiwillige Warenetiketten einführt, drückt sie sich vor ihrer gesetzgeberischen Verantwortung.

Statt gequälte Tiere zu schützen, schiebt der Minister die Verantwortung ab

Schweine, Hühner oder Kühe, die Landwirte zur Produktion von Fleisch, Eiern oder Milch halten, durchleben nicht selten Krankheiten und seelische Qualen. Das zeigen etwa die Befunde von Tierärzten, die beim zweitgrößten Schlachtkonzern Vion bei mehr als einem Drittel der Schweine Atemwegserkrankungen, Entzündungen oder Hautausschläge fanden. Und das zeigt vor allem der Bericht einer Gruppe von Wissenschaftlern, Bauernvertretern und Tierschützern, die im Auftrag des Agrarministeriums das Tierwohl in Deutschland untersucht haben. Sie empfehlen ein Förderprogramm für bessere Ställe mit mehr Platz und Licht sowie mehr Bewegung für die Masttiere. Denn in der großen Enge der Betriebe entwickeln die Tiere Verhaltensstörungen. Schweine beißen einander die Schwänze ab, Hühner reißen sich gegenseitig die Federn aus.

Minister Schmidt sind diese Fakten bekannt. Doch statt Gesetze zur Veränderung der Tierhaltung zu erlassen, schiebt er mit einem Tierwohllabel die Verantwortung für das Leid auf die Supermarktkunden ab. Dabei haben die in diesen Tagen ohnehin viel zu entscheiden. Bereits heute gibt es beim Einkauf eine unerschöpfliche Zahl von Wahlmöglichkeiten. Lebensmittel können biologisch angebaut, gentechnikfrei oder zu fairen Preisen gehandelt sein, außerdem entlastet von allerlei mutmaßlich ungesunden Zusatzstoffen. Die Lebensmittelindustrie hat längst den Kreis konsumbewusster Kundschaft für sich entdeckt. Sie liefert den Leuten mit innovativen, hochpreisigen Produkten auch immer neue Labels, die ihnen entweder eine Investition in die eigene Gesundheit oder in eine bessere Welt suggerieren.

Die Bundesregierung fördert mittlerweile gleich mehrere Internetportale und Broschüren, die über die Bedeutung der verschiedenen Siegel aufklären sollen. Der überwiegende Teil der Bürger kann mit all diesen Aufklebern und Symbolen trotzdem wenig anfangen, auch weil sie teilweise bewusst verwirrend gestaltet sind. Ein freiwilliges Tierwohllabel von Landwirtschaftsminister Schmidt könnte schnell ein ähnliches Schicksal ereilen. Kunden müssen dieses neue Etikett erst von anderen Marketing-Emblemen unterscheiden lernen. Eine große Informationskampagne wird nötig sein, um Bürgern ihr neues Supermarkt-Wahlrecht vorzustellen.

Ohne Frage: Umweltbewusste und gesellschaftlich verantwortliche Kaufentscheidungen liegen im Trend. Sie wirken wie ein Volksentscheid an der Kasse, wie die Konsum-Demokratie. Bloß einen Haken hat sie: Nicht jeder hat eine Stimme. Bio-Produkte sind teurer als konventionelle Waren. Fleisch und Käse aus ökologischer Landwirtschaft leisten sich trotz Bio-Boom nur wenige Deutsche. Der Marktanteil dieser Erzeugnisse liegt bei knapp fünf Prozent. Auch Schmidts Tierwohl-Produkte werden wohl mehr kosten als das Fleisch von leidenden Tieren.

Auf diese Weise macht Schmidt die Entscheidung, ob einige Tiere in deutschen Ställen weniger Qualen ertragen müssen als andere, vom Geldbeutel der Menschen abhängig. Das ist zynisch. Wenn die Bundesregierung ein Problem bei der Behandlung von Lebewesen in der Landwirtschaft erkennt, sollte sie diesem mit Regeln und Gesetzen entgegentreten. Allein politische Entscheidungen können Strukturen in der Agrarwirtschaft ändern, nicht der Einzelne. Bürgern ein neues Schild im Supermarkt als Antwort auf schlechte Haltungsbedingungen zu verkaufen, ist nicht aufrichtig. Dies würde nur sehr wenigen Tieren helfen.

Agrarminister Schmidt sollte sich besser die Empfehlungen seines eigenen Tierwohl-Kompetenzteams zu Herzen nehmen, bessere Haltung subventionieren und Qual verbieten. Sonst bleibt sein Label am Ende ein Etikettenschwindel.

© SZ vom 09.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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