Kommentar:Ende der Wattestäbchen

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Die EU-Kommission will zehn Plastikprodukte verbieten, darunter Wegwerfbesteck und Trinkhalme. Kein großer Wurf: Um das Müllproblem wirklich zu lösen, bedarf es deutlich mehr.

Von Silvia Liebrich

Über den Strohhalm an sich gibt es nicht viel zu erzählen, das Wesentliche ist schnell gesagt: Er war vermutlich schon in aller Munde und das Original ist um einiges älter als die Menschheit selbst. Schon die alten Sumerer sollen damit ihr Bier eingesogen haben. Trinkhalme aus Kunststoff gibt es dagegen erst seit ein paar Jahrzehnten - knallbunt, in schlichtem Weiß, mit und ohne Knick oder anderem Schnickschnack. Doch mit dieser Plastikkopie ist nun in Europa bald Schluss, so will es die EU-Kommission.

Zum Schutz der Weltmeere sollen zehn Wegwerfartikel, darunter Einmalgeschirr, Wattestäbchen, Ballonhalter und auch besagte Trinkhalme aus Plastik aus den Ladenregalen verschwinden. Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans sparte nicht mit Eigenlob, als er die geplante EU-Richtlinie am Montag präsentierte. Das sei gut für Europa und für die Welt, verkündete er stolz.

Umweltschutz ja, aber kosten soll er möglichst nichts

Von einem großen Wurf kann jedoch nicht die Rede sein. Was zum Beispiel ist mit den Millionen Flaschen, Tüten, Seilen, Eimern und vielen anderen Produkten, allesamt aus Plastik, die jedes Jahr im Meer landen? Immerhin 80 Prozent des Mülls auf hoher See und in Küstengewässern besteht aus Kunststoff. Ein paar Trinkhalme, Plastikgabeln und Wattestäbchen weniger machen da keinen großen Unterschied. Um die Weltmeere zu retten und den Plastikmüll zu reduzieren, bedarf es erheblich mehr.

Das hat die Kommission zwar erkannt - und an Ideen mangelt es ihr nicht. Doch es fehlen eine klare Vision und der Wille, diese auch konsequent und rasch umzusetzen. Stattdessen sollen Wirtschaft und Verbraucher möglichst geschont werden, ganz nach dem Motto: Umweltschutz ja, nur kosten darf er möglichst nichts. So sollen etwa nur Gegenstände verboten werden, für die es eine Alternative gibt. Eine Beruhigungspille für Grillparty-Fans liefern die Regulierer auch gleich mit. Es bestehe kein Grund zur Sorge. Einweggeschirr sei auch weiterhin erlaubt, es dürfe nur eben nicht aus Plastik sein, heißt es da. Die schädliche Kultur des Wegwerfens, eine Hauptursache des Abfallproblems, wird so weiter gehegt und gepflegt. Dabei wäre es Aufgabe der Politik, genau dieses fatale Denkmuster aufzubrechen und dafür zu werben, Alltagsgegenstände länger zu nutzen und wieder zu verwerten. Die Plastikstrategie wäre dafür die richtige Gelegenheit.

In das Bild einer halbherzigen Initiative passt auch, dass Kunststoffverpackungen für Lebensmittel und Getränke auch weiter erlaubt bleiben sollen. Ihren Verbrauch will die EU zwar insgesamt senken. In welcher Form und in welchem Umfang, lässt sie jedoch im Unklaren. Die Umsetzung der vagen Vorgabe will sie ohnehin lieber den einzelnen Mitgliedsländern überlassen. Brüssel drückt sich so um klare Regeln, die für alle gelten müssen. Wettbewerbsverzerrungen und Streit unter den Ländern sind so programmiert. Eine Lösung, um den Müll deutlich und schnell zu senken, wird damit auf unbestimmte Zeit in die Zukunft verschoben.

Geradezu abstrus mutet zudem der Plan an, Hersteller von Wegwerfartikeln oder Fischernetzen an den Kosten für Umweltsäuberungen zu beteiligen. Nicht nur, dass dieser Plan in der Umsetzung viel zu kompliziert und kaum realisierbar ist, er ist auch ungerecht. Denn damit werden all jene Käufer doppelt zur Kasse gebeten - in der Regel ist das die Mehrheit -, die ihre Hinterlassenschaften ordnungsgemäß einsammeln und entsorgen.

Die EU muss stattdessen klare Ziele und Vorgaben zur Müllvermeidung vorlegen und Strategien für eine längere Nutzung von Konsumgütern entwickeln, etwa mit strengeren Qualitätsvorgaben. Dazu gehört auch eine konsequente Umstellung von Einweg-Getränkeflaschen auf Mehrwegsysteme. Wenn alle Hersteller in fünf oder zehn Jahren das erfüllen müssen, bleibt der Getränkeindustrie genug Zeit, sich darauf einzustellen. Eine Plastiksteuer kann ergänzend dabei helfen, Wegwerfartikel teurer und unrentabler zu machen und den Verpackungsmüll bei Lebensmitteln zu reduzieren. Darüber hinaus muss in neue moderne Verwertungstechnologien und Mehrwegsysteme investiert werden, die europaweit gelten.

Das Verbot von Strohhalmen taugt so gesehen allenfalls als Gesprächsstoff am Kneipentresen. Ökonomisch betrachtet ist es nur ein Ablenkungsmanöver: Trinkhalme aus nachwachsenden Rohstoffen sind schon jetzt oft billiger als ihre Pendants aus Plastik: 500 Stück im Bündel gibt es im Onlinehandel bereits für sechs Euro, bei einem Jahresbedarf von 50 Stück macht das pro Kopf genau 60 Cent - Probleme sehen anders aus.

© SZ vom 29.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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