Kommentar:Der Vorteil des Sparkontos

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Jan Willmroth wünscht sich weniger Nationalproporz, wenn es um EU-Posten geht. (Foto: Bernd Schifferdecker)

Die Geldpolitik verzerrt die Preise. Anleger sehen keine Alternative zu Aktien und treiben die Kurse hoch, eine riskante Entwicklung. Jetzt noch zu kaufen, ist nicht ratsam.

Von Jan Willmroth

Der ehemalige Gouverneur der Bank of England, Lord Mervyn King, hat eines der interessanteren Bücher über die Folgen der Großen Rezession geschrieben. Es trägt den Titel "The End of Alchemy", das Ende der Alchemie. In weiten Teilen ist es eine tiefgründige Abhandlung über Geldpolitik und die Verfehlungen, die in den Jahren von 2007 an zur Kernschmelze im internationalen Finanzsystem führten. Über eine zentrale Idee, die King in seinem Werk ausführt, lohnt es sich in diesen Tagen genauer nachzudenken: "Radikale Unsicherheit", er betont damit die Unberechenbarkeit vieler Ereignisse in der Zukunft.

Dieses Konzept passt ziemlich gut zur derzeitigen Verfassung der (wirtschaftlichen) Welt; radikale Unsicherheit steht in Abgrenzung zum Begriff Risiko für Dinge, die sich nicht anhand historischer Daten und Erfahrungen bemessen lassen. Die Brexit-Entscheidung hat selbst die versiertesten Stochastiker überrascht. Es ist kaum einzuschätzen, welche Folgen eine US-Präsidentschaft Donald Trumps hätte. Die nationalistischen Umtriebe in Europa sind eine reale Gefahr, gleiches gilt für die terroristische Bedrohung. Der Zustand von Chinas Finanzsystem lässt sich von außen kaum einschätzen. Die konjunkturelle Entwicklung in vielen Industrieländern bewegt sich zwischen Stagnation und Mini-Wachstum. Die langfristigen Folgen der Zentralbankpolitik, mit Null- und Negativzinsen und kriselnden Banken, sind derzeit völlig ungewiss.

Die direkten Folgen spüren Sparer indes schon seit einiger Zeit. Für vergleichsweise sichere Geldanlagen gibt es keine Zinsen mehr, bewährte Produkte wie Kapitallebensversicherungen und Bausparverträge stehen infrage. Es ist deshalb vernünftig, sich nach den wenigen Alternativen umzusehen, die verbleiben, um mit einem überschaubaren Vermögen noch eine kleine Rendite zu erzielen. Es ist aber vor allem vernünftig geworden, dabei sehr vorsichtig zu sein.

Es ist keine gute Zeit, um am Aktienmarkt einzusteigen

Im Lauf der zu Ende gehenden Woche stieg der deutsche Aktienindex Dax auf einen neuen Jahreshöchststand. Die wichtigsten US-Indizes S & P 500, Dow Jones und Nasdaq erreichten am Donnerstag beinahe gleichzeitig Rekordniveau - zuletzt passierte das am 31. Dezember 1999, also nicht lange vor dem Platzen der Dotcom-Blase. Die Erklärung dafür lag nahe: Investoren sähen derzeit keine Alternative zu Aktien, hieß es. Täglich lesen und hören Sparer in dieser unsicheren Welt Vermutungen, die skeptisch stimmen sollten. Die Kurse dürften wegen der lockeren Geldpolitik weiter steigen (es gibt keine Alternative!), Dividenden sind der neue Zins, Aktien gehören in jedes Depot.

Wenn aber Aktien nicht mehr gekauft werden, weil die Gewinne der Unternehmen steigen, sondern mangels Alternativen, dann ist etwas schief. Wenn einst als besonders sicher geltende Anleihen mit negativem Zins gekauft werden, was die Zinsen noch weiter ins Minus drückt, dann ist offensichtlich, wie arg die Geldpolitik inzwischen die Preise verzerrt hat.

Wer in den Jahren seit der Krise Aktien oder Fonds gekauft hat, der hat im Schnitt gutes Geld verdient. Wer aber jetzt noch keine Aktien hält, sollte sich fragen, ob er nicht lieber abwartet. Natürlich können die Kurse weiter steigen, aber verpasste Gewinne wiegen weniger schwer als tatsächliche Verluste. Irgendwann, vielleicht bald, wird dieser Boom zu Ende gehen. Wenn wieder von einer Krise die Rede ist, wenn wichtige Indizes um 50 Prozent und mehr gefallen sind, wird es sich auszahlen, mehr Geld als sonst auf dem so schlecht verzinsten Sparkonto geparkt zu haben. Radikale Unsicherheit verlangt nach radikaler Geduld.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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