Kommentar:Den Helfern helfen

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Nichtregierungsorganisationen weisen auf Missstände hin und machen Druck auf Unternehmen. Aber manchmal werden NGOs mundtot gemacht. Das darf nicht sein.

Von Caspar Dohmen

Sie sind unverzichtbar als Anwälte der Opfer von Umwelt- und Arbeitsrechtsverletzungen. Wenn Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Druck machen, werden Missstände manchmal erstaunlich schnell abgestellt. Aber eben nicht immer. Oft ignorieren Unternehmen Hinweise auf Gefahren in Textilfabriken in Entwicklungsländern jahrelang, bisweilen wird auch dreist gelogen. Aber muss es immer erst zu Todesfällen kommen, damit Gerichte eingreifen?

Erschreckend ist es, wenn Unternehmen durch ihre wirtschaftliche Macht erreichen, dass eine NGO unliebsame Kritik zurückzieht, wie jüngst Facing Finance. Die kleine Organisation hatte Banken aufgefordert, ihre Geschäftsbeziehungen mit dem Schweizer Rohstoffkonzern Glencore einzustellen, sie wirft ihm Menschenrechtsverletzungen vor. Wichtig wäre es, vor Gerichten zu klären, ob diese Vorwürfe berechtigt sind. Aber dazu wird es nicht kommen. Die NGO hat zwar gute Argumente, knickte jedoch ein, weil die Bergbaufirma ihr mit rechtlichen Schritten drohte - einen langen, teuren Gerichtsstreit hätte sie nicht finanzieren können.

Finanzschwache Organisationen sollten unterstützt, das Klagen erleichtert werden

Glencore ist kein Einzelfall. Fachleute sprechen von "Strategic Lawsuit against Public Participation". Die Beklagten sollen aus Angst vor Gerichtsverfahren einen Rückzieher machen. Mancher Skandal bleibt deswegen unter der Decke. So wie im Fall eines Sportartikelherstellers, der einer NGO mit einer Schadenersatzklage in Millionenhöhe drohte, sollte diese Fotos von Kindern veröffentlichen, die für diese Firma Fußbälle fertigten. Man werde den Vorwurf erheben, die Fotos seien manipuliert. Und man werde gewinnen, wegen der besseren Rechtsanwälte. Seit mehr als 20 Jahren schweigt die NGO über diesen Fall.

Es ist Zeit, dass Demokratien den NGOs den Rücken stärken. Idealerweise sollte natürlich jeder Bürger oder Beschäftigte die Chance auf ein faires Gerichtsverfahren in seinem Land haben, um gegen ausländische Konzerne, deren Tochterfirmen oder Zulieferer vorgehen zu können. Solange dies jedoch nicht der Fall ist, wegen der Vielzahl despotischer Regime und menschenverachtender Eliten, müssen die demokratischen Regierungen der Industriestaaten aktiv werden. Was soll das Gerede von Hilfe zur Selbsthilfe, wenn solche Initiativen von profitgierigen Unternehmen unterlaufen werden? Eine besondere Verantwortung haben Regierungen in Nordamerika und Europa, weil dort mehr als zwei Drittel der grenzüberschreitend tätigen Konzerne ihren Hauptsitz haben.

Was ist zu tun? Es geht vor allem um Transparenz, finanzielle Unterstützung und Haftung. England hat mit der Verabschiedung des Modern Anti Slavery Act 2015 einen wichtigen Schritt bei der Transparenz gemacht. Unternehmen müssen nun ihre Betriebsabläufe und Lieferketten offenlegen und über Maßnahmen gegen Menschenhandel und Sklaverei berichten. Der Vorteil: Die Unternehmen werden ihre eigenen Informationen später kaum infrage stellen, weswegen NGOs diese für Kampagnen nutzen können, ohne gerichtliche Auseinandersetzungen befürchten zu müssen. Es wäre sinnvoll, wenn andere Länder das Gesetz kopierten, auch Deutschland. Hier belässt man es bisher bei freiwilligen Berichtspflichten für Unternehmen.

Sinnvoll wären zudem eine Prozesskostenhilfe für finanzschwache Hilfsorganisationen und leichtere Klagemöglichkeiten von Bürgern und Beschäftigten aus dem globalen Süden vor den Gerichten der Länder, in denen die beschuldigten Konzerne ihren Sitz haben. In Deutschland gibt es da Verbesserungsbedarf. So sollte es bei Arbeitsrechtsverletzungen die Möglichkeit einer Sammelklage geben, so wie in anderen Ländern. Sinnvoll wäre es auch, eine Regelung aus den Niederlanden zu übernehmen. Dort können sich Gerichte im Fall einer Klage gegen einen ausländischen Tochterbetrieb eines niederländischen Unternehmens für zuständig erklären, wenn die Betroffenen im Ausland kein faires Verfahren erwarten können. Bedenkenswert wäre auch die Einführung eines Zeugenschutzprogramms und finanzieller Hilfen für Mitarbeiter von Unternehmen, die ihre Arbeitgeber wegen Arbeitsrechts- oder Menschenrechtsverletzungen anzeigen.

Die Politik hat in den vergangenen Jahrzehnten viel getan, um Unternehmen das Wirtschaften zu erleichtern. Diese Freiheit sollte jedoch auch mit Verantwortung einhergehen, doch das ist nicht der Fall. Es ist an der Zeit, dass demokratische Staaten den Helfern der Opfer helfen, das notwendige Gegengewicht zu bilden und Missstände zu stoppen. Das wäre endlich eine wirkungsvolle Hilfe zur Selbsthilfe.

© SZ vom 03.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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