Kommentar:Banker in Wolfsburg

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Männer, die schon die eine oder andere Million verdient haben, bestehen auf hohen Sonderzahlungen, während sich der VW-Konzern durch die größte Krise seiner Geschichte schaukelt: Das erinnert stark an die Boni-Jäger der Nullerjahre.

Von Thomas Fromm

Um 2008 herum, als wegen der Finanzkrise reihenweise Banken kippten, war die Welt noch einfach zu erklären. Auf der einen Seite waren die reichen Investmentbanker. Gierig bis zum Abwinken, eine kleine, skrupellose Gruppe von Boni-Sammlern. Dass sich ausgerechnet rings um die großen Bankenviertel die Ferrari- und Lamborghini-Händler angesiedelt hatten, war ja nur folgerichtig: Irgendwo mussten die Boni am Ende des Jahres ja hinfließen.

Auf der anderen Seite standen die Manager der Industrie. Die Ingenieure, Maschinenbauer und Schrauber. Sie hatten, wenn man so will, gegenüber den Kollegen aus der Finanzwirtschaft einen Glaubwürdigkeitsbonus. "Von uns ist noch keine Finanzkrise ausgegangen", sagte ein hochrangiger Industriemanager damals.

Böse Banker, gute Ingenieure - die Geschichte klang einigermaßen überzeugend. Ausgerechnet Volkswagen, der Konzern der Ingenieure und Schrauber, zeigt nun, dass die Sache nicht so einfach ist, wie man immer dachte. Acht Jahre nach der Finanzkrise hat VW eine Diesel-Krise; die Abgasaffäre kostet den Konzern Milliarden, für das vergangene Jahr muss das Unternehmen einen Milliardenverlust ausweisen. Zeiten also, in denen man als Manager auf Boni freiwillig verzichten sollte - egal, ob sie einem zustehen oder nicht. Doch bei VW wird nicht wirklich verzichtet - es wird größtenteils erst einmal nur ausgesetzt.

Die Vorstände, die nicht auf ihre Boni verzichten, ignorieren die Realität

Von der variablen Vergütung der Vorstände bleibt ein Teil als Aktien im Konzern. Je nachdem, wie sich der Aktienkurs in den nächsten Jahren entwickelt, gibt es das Geld zurück oder nicht. Oder aber es gibt sogar noch einen kräftigen Schluck obendrauf. Es braucht wenig Fantasie, um vorauszusehen, wie es nun weitergeht: Die Vorstände werden alles daran setzen, den Kurs der VW-Aktie zu pflegen und möglichst hoch zu halten. In Zeiten, in denen der Konzern möglicherweise noch viele Milliarden für die Folgen seines Abgasbetrugs aufbringen muss, dürfte das Unternehmen aber andere Sorgen haben als einen möglichst hohen Börsenwert: μDer Skandal muss aufgearbeitet, Milliarden müssen in neue Elektroauto-Strategien investiert werden. Der "Shareholder-Value", erst recht kurzfristige Aktionärsinteressen, dürften dabei nicht die höchste Priorität haben.

"Wir mussten abwägen zwischen berechtigten Erwartungen der Öffentlichkeit einerseits und vertraglichen Verpflichtungen andererseits", erklärte VW-Aufsichtsrat Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, dem 20 Prozent an VW gehören, zu dem Boni-Kompromiss. Abwägen? Der Satz des Politikers zeigt, wie hilflos Aufsichtsräte sein können, wenn Vorstände auf ihr Recht beharren.

Männer, die in ihrem Leben schon die eine oder andere Million verdient haben, bestehen auf Millionen-Boni, während sich der Konzern durch die größte Krise seiner Geschichte schaukelt: Wenn Managern die eigene Kasse wichtiger ist als der Konzern und sein Image, dann sind wir in der Sache nicht mehr weit entfernt von den Boni-Jägern der Nullerjahre.

Von denen also, die bisher die Bösen waren: Die mit dem großen Rad, das man immer schneller und immer größer drehen konnte, um immer höhere Renditen einzufahren. Je größer das Rad, desto riskanter wurde es. Und je riskanter es wurde, desto höher wurden die Boni-Ausschüttungen - bis alles zusammenbrach. Auch VW hat ein großes Rad gedreht, indem es eine betrügerische Software in seine Dieselmotoren packte. Als die Sache hochging, kam es zum Crash - wie in der Finanzbranche vor einigen Jahren. Jetzt wäre die Zeit für Bescheidenheit.

Den Boni-Empfängern aus den Bankentürmen wurde oft vorgeworfen, sie hätten sich im Laufe der Zeit in einer Art Parallelwelt eingerichtet, einer eigenen Komfortzone, die mit der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen nicht mehr viel zu tun habe. Ähnlich ist es wohl auch mit den VW-Vorständen, die nicht auf ihre Boni verzichten, sondern diese erst einmal nur ins Eisfach legen wollen. Sie ignorieren die VW-Realität.

In den kommenden Monaten wird es in dem Konzern zu drastischen Veränderungen kommen. Es wird an allen Ecken gespart, Menschen werden ihre Jobs verlieren. Für den Vorstand um Konzernboss Matthias Müller dürften diese Schritte nach der Boni-Entscheidung nicht einfacher werden. Denn die Jobs, die jetzt in Wolfsburg gestrichen werden, werden - anders als Boni - nicht auf Eis gelegt. Wer jetzt das Unternehmen verlässt, kommt nicht automatisch in drei Jahren wieder, nur weil dann vielleicht der Aktienkurs durch die Decke schießt. Für die Stimmung in Wolfsburg ist das verheerend.

© SZ vom 25.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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