Kommentar:Ausprobieren!

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560 Euro als Grundeinkommen für 2000 Arbeitslose in Finnland, das ist ein Anfang - aber ein zu kleiner, um die wirtschaftliche Wirkung seriös abschätzen zu können.

Von Christian Endt

Man kann es so sehen: Gäbe es ein bedingungsloses Grundeinkommen, wären viele Menschen produktiver - befreit vom lähmenden Druck des Existenzkampfes. Und man kann es so sehen: Gäbe es ein bedingungsloses Grundeinkommen, würden viele Menschen nicht mehr arbeiten - sie kämen ja auch so über die Runden.

Jedem Bürger einen festen Betrag zu überweisen, einfach so, Monat für Monat - es ist eine derart radikale Idee, dass niemand seriöserweise sagen kann, wie sich Wirtschaft und Gesellschaft dadurch verändern würden. Zugleich ist die Idee so charmant, dass man sie nicht einfach als Spinnerei abtun kann. Besser als spekulieren wäre daher: ausprobieren.

Das tun die Finnen. In Finnland beginnt gerade das bisher größte Experiment zum bedingungslosen Grundeinkommen. Von diesem Montag an erhalten 2000 zufällig ausgewählte, arbeitslose Finnen monatlich 560 Euro vom Staat. Sie sind zwischen 25 und 58 Jahre alt und leben irgendwo an den Wäldern und Seen zwischen Helsinki und Polarkreis.

Ein paar Vorzüge des bedingungslosen Grundeinkommens lassen sich hier erkennen: Weil den finnischen Teilnehmern, die eine Arbeit finden, der Lohn nicht vom Grundeinkommen abgezogen wird, ist es für sie attraktiv, einen Job anzunehmen. Zudem fällt der bürokratische Aufwand weg, der beim Bearbeiten von Anträgen, Prüfen auf Bedürftigkeit sowie für den Sanktionsapparat anfällt.

Und weiter? Statt sich mit Pizza-Ausfahren über Wasser zu halten, könnten die Finnen ihr Grundeinkommen dazu nutzen, um an die Uni zu gehen und sich mit Bildung für die Zeiten der Digitalisierung zu rüsten. Doch wie viele werden das wirklich tun, und werden die neuen Technologien überhaupt so viele Jobs wegfegen? Die Digitalisierung ist weit vorangeschritten, aber arbeitslos sind in Finnland wie auch in Deutschland so wenige wie lange nicht.

Genauso spekulativ sind die Argumente, die gegen ein regelmäßiges Geldgeschenk vom Staat vorgebracht werden. Es entfiele der Anreiz, sich anzustrengen, etwas zu leisten, vielleicht selbst ein Unternehmen zu gründen, sagen die Kritiker. Das mag stimmen. Genauso gut könnte es aber umgekehrt sein. Sich selbständig zu machen, fällt deutlich leichter, wenn einen regelmäßige Zahlungseingänge durch die selten gewinnbringende Anfangszeit tragen.

Gegen die angeblich drohenden faulen Massen spricht auch ein anderes Argument: Der Mensch brauche das Gefühl, sich nützlich zu machen, er werde also nicht zum untätigen Konsumenten mutieren. Daraus folgt, dass die meisten weiterarbeiten würden.

Der stichhaltigste Punkt der Nein-Fraktion besagt, ein Grundeinkommen für alle sei nicht bezahlbar, oder nur durch kräftige Steuererhöhungen zu finanzieren. Doch das lässt sich kaum abschätzen; man weiß eben nicht, wie sich die Menschen unter den neuen Umständen verhalten würden. Gehen sie weniger arbeiten, oder vielleicht sogar mehr? Wenn in Finnland das erste Jahr abläuft, wird man ein ganzes Stück klüger sein.

Finnland startet einen Versuch mit Arbeitslosen. Das kann nur der Anfang sein

Es ist leicht, sich im Dickicht aus Vorhersagen und Hypothesen zum bedingungslosen Grundeinkommen zu verirren. Den Ausweg weist die Empirie. Der finnische Versuch ist ein Anfang, aber er greift zu kurz. Zum einen reicht der dort gezahlte Betrag nicht zum Leben, zum anderen nehmen zu wenige an diesem Experiment teil. Zwar sind 2000 Testpersonen genug, um statistisch gesichert sagen zu können, was das Grundeinkommen aus den Leben der Ausgewählten macht.

Doch erstens waren nur Arbeitslose an der finnischen Lotterie beteiligt, die die Teilnehmer bestimmte. Weshalb offen bleibt, wie viele Berufstätige wegen der Aussicht auf das Grundeinkommen ihren Job kündigen würden. Und zweitens verrät dieser begrenzte Test natürlich nichts darüber, wie ein Grundeinkommen das gesamte volkswirtschaftliche Gefüge verschieben würde.

Aufschlussreicher wäre ein breit angelegtes Experiment, bezogen auf eine ganze Region: eine Großstadt beispielsweise, einen kleinen Staat wie Finnland, ein deutsches Bundesland oder einen amerikanischen Bundesstaat. In jenem Gebiet müssten alle Einwohner das Grundeinkommen beziehen: Junge und Alte, Professoren und Hilfsarbeiter, Leistungsträger und Faulenzer. Am Ende könnte die Erkenntnis stehen, dass das Grundeinkommen die Menschen dazu verführt, weniger zu arbeiten.

Vielleicht steht dann aber auch die Erkenntnis, dass diese neue Sozialleistung vor allem ein Gewinn ist: für den Einzelnen, aber auch für die ganze Gesellschaft.

© SZ vom 09.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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