Kommentar:Aus Liebe zum Atom

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Die britische Regierung träumt von einem neuen Nuklearzeitalter. Das soll dem Klima helfen und Kosten senken, ist aber der falsche Weg.

Von Björn Finke

Keine 1000 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Berlin und London. Doch in der Energiepolitik trennen die deutsche und britische Regierung Welten. Beide beschäftigen sich gerade mit der Kernkraft. Aber unter so unterschiedlichen Vorzeichen, dass die Debatten wie aus verschiedenen Jahrhunderten wirken. In Deutschland diskutiert die Regierung mit den Stromkonzernen darüber, wer wie viele der Milliarden bezahlt, die es kosten wird, Atommeiler abzubauen und den strahlenden Müll sicher über Jahrtausende zu lagern. In Großbritannien hingegen träumt die Politik von einem neuen Atomzeitalter.

Eine Technik, die in Deutschland als Problem gesehen wird, als Ärgernis und Milliardengrab, gilt auf der Insel als Problemlöser. Verrückte Welt. Tatsächlich wären die Briten gut beraten, sich ein wenig von der deutschen Skepsis abzuschauen. Anderes wiederum kann die Bundesrepublik von Großbritannien lernen.

Die konservative Regierung von Premier David Cameron plant eine ganze Reihe neuer Kernkraftwerke. Auch ein chinesischer Staatskonzern soll seinen eigenen Reaktortyp zwischen die grünen Hügel Englands setzen dürfen - es wäre das erste Mal, dass ein chinesischer Meiler in Westeuropa ans Netz geht. Die Betreiber der Kernkraftwerke werden sich über hohe Subventionen freuen können.

Das Land braucht neue Stromlieferanten, weil die Regierung bis 2025 sämtliche Kohlemeiler abschalten will. Das verkündete sie kurz vor dem Klimagipfel in Paris. Kohlekraftwerke pusten besonders viel des klimaschädlichen Kohlendioxids in die Atmosphäre, daher ist das Good-bye für die Dreckschleudern ausgesprochen löblich. Allerdings wäre es besser, Kohlemeiler durch erneuerbare Energien zu ersetzen, aus Sonne, Wind und Wasser. Doch während die regierenden Konservativen Atomkonzernen bereitwillig Fördergeld zusagen, kappen sie seit ihrem Wahlsieg im Mai die Subventionen für Ökostrom: eine sehr spezielle Energiewende.

Kernkraftwerke stoßen kaum Kohlendioxid aus, und die Regierung hält Atomstrom für billiger und zuverlässiger als die grünen Alternativen. Darum träumen die Politiker auch davon, Nukleartechnik viel breiter einzusetzen. Es geht ihnen nicht nur um neue Großkraftwerke. Zugleich fördert das Königreich die Entwicklung von Mini-Reaktoren. Die Vision: Kleine Atomkraftwerke versorgen dezentral Städte mit Strom und Wärme - jedem Landkreis seinen Reaktor. Im kommenden Jahrzehnt soll es so weit sein.

In Deutschland würde das zu Massenprotesten führen. Aber die Mehrheit der Briten spricht sich für Kernkraft aus, trotz der Katastrophe von Fukushima. Dabei gibt es zwei gewichtige Gründe gegen diese Technik , selbst wenn Störfälle ausbleiben. Zum einen ist der Bau von Meilern sehr teuer - und oft viel teurer und langwieriger als anfangs gedacht. Den ersten neuen Reaktor in Großbritannien soll der französische Stromkonzern EDF errichten, Hinkley Point C wird er heißen. Reaktoren gleicher Bauart werden in Frankreich und Finnland hochgezogen: Beide Projekte sind Jahre verspätet, die Kosten explodieren.

Jedem Landkreis sein kleines Atomkraftwerk - das ist die Vision der Briten

Zum anderen existiert in Großbritannien genau wie in Deutschland noch kein Endlager für den strahlenden Müll. Das erstaunt nicht: Einen Ort zu finden, an dem derart gefährliche Abfälle über Jahrtausende absolut sicher sind, ist extrem schwierig bis unmöglich. Klar ist, dass der Abbau der Meiler und die Entsorgung des Mülls sehr, sehr teuer werden. Die Briten müssen für diese Erkenntnis nur die Querelen zwischen Regierung und Stromkonzernen in Deutschland verfolgen. Daher hat Atomkraft keine Zukunft - die Technik wird bildlich gesprochen einem Darmverschluss zum Opfer fallen.

Großbritannien sollte sich also von Deutschland inspirieren lassen: vom teutonischen Misstrauen gegenüber Kernkraft und vom ehrgeizigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Zugleich muss sich die Bundesregierung unbedingt etwas von London abschauen - und zwar den Abschied von der Kohle, ohne wenn und aber. Deutschland ist trotz der Energiewende alles andere als ein Vorbild beim Klimaschutz. Kohlekraftwerke sind immer noch die wichtigsten Stromlieferanten. Das ist beschämend. Berlin sollte verbindlich festlegen, bis wann die letzte Dreckschleuder vom Netz geht.

Kein Strom aus Kohle, kein Strom aus Atom: Das wäre das beste aus beiden Welten, der britischen und der deutschen.

© SZ vom 07.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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