Kommentar:Anstrengende Lockerungsübung

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Seinen persönlichen Bastel-Zenit erreicht man als Frau nicht in der dritten Klasse, sondern Jahre später als Mutter.

Von Henrike Roßbach

Na, liebe Mit-Mütter, auch mal wieder eine Spätschicht eingelegt diese Woche? Seinen persönlichen Bastel-Zenit erreicht man als Frau ja nicht in der dritten Klasse, sondern Jahre später als Mutter. Nachts, wenn es still ist in der Wohnung, entstehen handgefertigte Geburtstagseinladungen für die Motto-Party der Fünfjährigen, werden Mitgebsel-Tütchen gefüllt, Schmetterlingskuchen mit Smarties verziert oder 24 Adventskalendersäcke je Kind geschnürt. Männer sind in dieser Szenerie eher unterrepräsentiert und, wenn wir ehrlich sind, auch nur bedingt erwünscht. Bevor der Handywecker dann auf sechs Uhr morgens gestellt wird, noch ein Blick auf die Termine des kommenden Tages, zwei Mails löschen und - unbedingt - ein Beweisfoto der Mutterliebe auf Facebook veröffentlichen.

Ja, irgendwie macht das auch Spaß. Und wenn die Kinder strahlen, die Freundinnen "Gefällt mir" attestieren und man mit sich total zufrieden ist, fühlt sich selbst Erschöpfung wohlig an. Dennoch legen wir modernen, arbeitenden Mütter oft bedenkliche Verhaltensmuster an den Tag. Mit voller Absicht und freiwillig.

Seit 100 Tagen ist die Regierung nun im Amt, und mit ihr die neue Frauenministerin Franziska Giffey (SPD), die ihre Politik mit der Überschrift versehen hat: "Frauen können alles." Als Ansporn, vermeintliche No-go-Areas für Frauen (Vorstände, Informatik-Vorlesungen, Spitzenverdiener-Klubs) niederzurennen, hat dieser Satz natürlich seine Berechtigung. Es gibt ihn aber auch in einer deformierten Version - und ausgerechnet die nistet leider in vielen Frauenköpfen schon länger als 100 Tage. Die Missinterpretation von "Frauen können alles" lautet: "Frauen können alles allein und eigentlich auch gleichzeitig." Karriere, Kinder und Kuchen also, natürlich selbstgebacken.

Männer beuten sich auch aus, machen mehr Überstunden als Frauen, arbeiten auch mit Kindern meist in Vollzeit, und viele sind unzufrieden mit ihrer Rolle als allzu oft abwesende Väter. Aber sie versuchen nicht, zusätzlich auch noch auf Nebenkriegsschauplätzen zu brillieren. Sie haben es besser drauf, an den richtigen Stellen lockerzulassen. Ihnen ist es schnurz, was genau die Erzieherin zum Kita-Abschied geschenkt bekommt, sie machen zur Not auch viermal in der Woche Spaghetti mit Tomatensoße und erlauben Gummistiefel zum Tüllrock.

Wir Frauen hingegen sind Meisterinnen darin, uns auch noch gegenseitig unter Druck zu setzen. Plattformen wie die Online-Pinnwand Pinterest, wo Frauen ihre Bastel-, Näh- und Kocherfolge veröffentlichen, wurden für uns erfunden, und wir akzeptieren sie willig als Benchmark. Ja, die Empörung über die jüngste Dr.-Oetker-Werbung ("Back deinen Mann glücklich") war groß. Wer aber im Netz nach "Fußball-Kuchen" sucht, stößt auf Paralleluniversen weiblichen Ehrgeizes.

Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass auch in Vollzeit arbeitende Mütter den größeren Teil der Familienarbeit erledigen und sich, logisch, häufiger als Männer unter Zeitdruck fühlen. Die Erwerbstätigkeit der Frauen ist gestiegen, ihr Anteil an der unbezahlten Arbeit zu Hause aber nicht in gleichem Maße gesunken. Gesellschaftlich relevant ist das, weil viele Frauen, wenn ihre Superheldinnen-Kräfte doch nicht reichen, die falsche Entscheidung treffen: Sie machen dort Abstriche, wo es sie Perspektiven, Einfluss, Geld und Rente kostet: beim Job. Gegen diese Form der Selbstausbremsung aber kommen selbst Aufsichtsratsquoten, flexibles Arbeiten, Kitaplätze und Ganztagsschulen auf Dauer nicht an. Auf der nächsten To-do-Liste sollte deshalb ganz weit oben stehen: Erstens, die Männer mehr einspannen und mitmachen lassen. Und zweitens - loslassen üben.

© SZ vom 23.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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