Keine zweite Chance:In weiter Ferne

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Da sagen Arbeitgeber lieber "Nein": Wer länger als ein Jahr auf Stellensuche ist, hat es besonders schwer, wieder einen Job zu finden. Benötigt werden deshalb mehr Arbeitgeber, die geduldig sind und Menschen eine Chance geben.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Deutschland ist Europas Jobwunderland. Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte in diesem Jahr erneut auf einen Rekordwert von durchschnittlich 43 Millionen steigen. Deutschland ist aber auch ein Land der Langzeitarbeitslosen. Gut die Hälfte, etwa 550 000, sind dabei schon länger als zwei Jahre auf der Suche nach einem Job, knapp 200 000 sogar länger als vier Jahre. Diesen Abgehängten zu helfen, wird jedoch eher schwieriger als leichter.

Der Beschäftigungsboom nützt zunächst denjenigen, die schon eine Arbeit haben: Ihr Risiko, arbeitslos zu werden, ist in den vergangenen Jahren gesunken. Bei den Langzeitarbeitslosen ist es umgekehrt: Je länger sie auf Arbeitslosengeld angewiesen sind, desto geringer ist die Neigung bei Unternehmen, solche Menschen einzustellen. Ein langer Bezug von staatlichen Leistungen werteten Arbeitgeber "als negatives Signal für die Beschäftigungsfähigkeit der Betroffenen", heißt es in einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Dieser Teufelskreis wird verstärkt durch die sogenannten "Vermittlungshemmnisse". Dazu zählen ein Alter über 50 Jahre, gesundheitliche Probleme, unzureichende Deutschkenntnisse und ein fehlender Ausbildungsabschluss oder einer, der sich im Laufe der Jahre entwertet hat. Dazu stellen die IAB-Forscher lapidar fest: Treten mehr als drei solcher Defizite zugleich auf, tendiere die Chance, einen Arbeitsplatz zu finden "fast gegen Null".

Genau hier liegt aber ein Problem. Die Struktur der Erwerbslosen verschiebt sich schrittweise hin zu den Langzeitarbeitslosen. Ihr Anteil liegt mittlerweile bei über einem Drittel, weil Kurzzeitarbeitslose eher einen Job finden. "Damit ist auch der Anteil der arbeitsmarktfernen Personen an allen Arbeitslosen gewachsen, so dass es künftig für die Arbeitsvermittlung schwieriger werden dürfte, die noch verbliebenen Arbeitslosen wieder in Lohn und Brot zu bringen", stellen die IAB-Forscher fest.

Außerdem wächst die Konkurrenz: Immer mehr Zuwanderer, zum Teil sehr qualifiziert, drängen auf den deutschen Arbeitsmarkt. Frauen, die nicht berufstätig waren, oder Menschen, die sich früher keine Chance ausgerechnet haben, suchen verstärkt einen Job. Ältere scheiden immer später aus dem Berufsleben aus. Gleichzeitig schwindet aber die Zahl der Helferjobs, die für die 1,3 Millionen Arbeitslosen ohne und mit veraltetem Berufsabschluss noch am ehesten in Frage kommen. Einfache Tätigkeiten werden in einer hoch spezialisierten und zunehmend digitalisierten Industriegesellschaft zur Mangelware.

Was also tun? Für die IAB-Forscher ist klar: "Eine Schul- und Bildungspolitik, die möglichst wenig junge Menschen ohne Abschluss ins Erwerbsleben entlässt, trägt entscheidend dazu bei, späterer Arbeitslosigkeit vorzubeugen." Nötig wären auch mehr Arbeitgeber, die Menschen geduldig eine Chance geben, "auch wenn sie nicht am ersten Tag durchstarten können und ihr Lebenslauf alles andere als perfekt ist", sagt der frühere Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt.

Allerdings lässt sich nicht aus jedem Langzeitarbeitslosen ein voll leistungsfähiger Arbeitnehmer machen. Ein paar Hunderttausend sind in ihrer Arbeitsfähigkeit so eingeschränkt, dass für sie allenfalls ein Job auf dem zweiten, sozialen Arbeitsmarkt erreichbar wäre. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sagt: "Jeder hat eine Chance verdient." Die Realität sieht für viele noch anders aus.

© SZ vom 14.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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