Kaufkraft:Mehr Geld in der Tasche

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SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Bundesamt (Foto: sz)

Die Kaufkraft legte binnen eines Jahres um 2,7 Prozent zu - so stark wie seit 2008 nicht mehr. Vor allem Arbeitnehmer mit einfachen Jobs haben mehr von ihrem Gehalt - dank Mindestlohn und niedriger Inflation.

Von Benedikt Müller, München

Bei all der Aufregung um wirtschaftliche Krisen in der Eurozone und in den Schwellenländern drohen Meldungen wie diese fast unterzugehen: Die Kaufkraft der Arbeitnehmer in Deutschland ist in den vergangenen Monaten so stark gestiegen wie seit sieben Jahren nicht mehr. Das gab das Statistische Bundesamt am Dienstag bekannt. Während sich die Lebenshaltungskosten in der gesamten Eurozone nur kaum verändern, weil die Nachfrage in den krisengeplagten Staaten schwächelt, verdiente ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in Deutschland im zweiten Quartal 3,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Für seine Bedarfsgüter musste er im Schnitt 0,5 Prozent mehr Geld ausgeben - somit ist die Kaufkraft real um 2,7 Prozent gestiegen. Seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2008 habe es einen solchen Anstieg noch nicht gegeben, teilen die Statistiker mit.

Freilich existiert der durchschnittliche Arbeitnehmer nur in den Statistiken. Der Lohnsprung ist in erster Linie auf hohe Tarifabschlüsse einzelner Gewerkschaften und auf den seit Januar geltenden gesetzlichen Mindestlohn zurückzuführen. "Bei der Lohnentwicklung zeigt sich, dass die Arbeitnehmer mit einfachen Jobs sowie geringfügig Beschäftigte überdurchschnittliche Steigerungen hatten", sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Die sogenannten Minijobber bekamen im zweiten Quartal durchschnittlich fünf Prozent mehr Lohn als im Vorjahreszeitraum. Darüber hinaus sind die Löhne im Osten Deutschlands stärker gestiegen als im Westen. "Das ist alles eine Folge der Einführung des Mindestlohns", sagt Arbeitsmarktexperte Brenke. Die Lohnuntergrenze entschärfe die Ungleichheit in der Einkommensverteilung.

Besonders deutlich wird das, wenn man die Qualifikation der Arbeitnehmer berücksichtigt. Ungelernte Beschäftigte verdienen im Schnitt 4,8 Prozent mehr Geld, seitdem sie mindestens 8,50 Euro pro Stunde bekommen. Mit diesem Lohnsprung übertreffen sie die Führungskräfte, deren Vergütungen um immer noch stattliche 3,3 Prozent stiegen. "Insgesamt schlägt sich die günstige Arbeitsmarktentwicklung in den höheren Löhnen nieder", sagt Brenke.

Der Handel und die Konsumgüterhersteller hoffen nun, dass die Verbraucher angesichts der höheren Löhne und der niedrigen Sparzinsen fleißig einkaufen werden. "Da muss man allerdings vorsichtig sein", dämpft Brenke die Erwartungen. Schließlich seien vor allem die Löhne derjenigen gestiegen, die nur wenige Stunden pro Woche arbeiteten. "Die gesamtwirtschaftliche Lohnsumme wird durch den Mindestlohn kaum angehoben", schätzt Brenke.

Dass die Lohnsteigerungen nicht eins zu eins an den Verkaufstheken der Läden und Geschäfte ankommen, zeigt auch eine Auswertung der Einzelhandelsumsätze der vergangenen Jahre (siehe Grafik). Während das durchschnittliche Einkommen der Arbeitnehmer von Sommer 2007 bis Sommer 2015 um knapp 20 Prozent gestiegen ist, steigerte der Einzelhandel seine Umsätze im selben Zeitraum nur um gut 12 Prozent, jeweils ohne Berücksichtigung der Inflation. Zum einen liegt das daran, dass die Verbraucher mehr Geld sparen oder anlegen können, wenn sie mehr verdienen. Zum anderen müssen sie einen immer größeren Teil ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben, weil neben den Immobilienpreisen auch die Mieten und Energiekosten anziehen. In beiden Fällen bleibt für das Einkaufen nur ein kleinerer Teil der Kaufkraft übrig.

Darüber hinaus profitieren die einzelnen Handelszweige unterschiedlich stark davon, wenn die Löhne steigen. Beispiel Lebensmittelhandel: Obwohl die Arbeitnehmer deutlich mehr verdient haben, gaben sie im zweiten Quartal dieses Jahres kaum mehr Geld für Essen und Trinken aus als vor acht Jahren - der Preiskampf der Supermärkte und Discounter macht es möglich. Die gesunkenen Ölpreise führen dazu, dass auch die Umsätze der Tankstellen nicht mit dem Einkommen gestiegen sind. Die Ausgaben für Smartphones, Fernseher und andere Unterhaltungselektronik im stationären Handel wuchsen zunächst schneller als das Einkommen. Doch unter dem Strich ist es nur dem Online- und Versandhandel gelungen, seine Umsätze stärker zu steigern als die Lohnentwicklung. Den stationären Läden wird das eine Warnung sein.

© SZ vom 24.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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