Karakorum-Highway:Zurück zu den Wurzeln

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Auf 3600 Meter Höhe marschieren Schäfer über die schneebedeckte Ebene am Karakul-See: Hier führt der legendäre Karakaorum-Highway entlang. (Foto: How Hwee Young/dpa)

Die Seidenstraße soll wiederbelebt werden: Der Karakorum-Highway verbindet China mit Pakistan und wird nun modernisiert - ein beispielloses Infrastrukturprojekt.

Von Marcel Grzanna, Tashkurgan

Das ewige Eis des 7649 Meter hohen Kongur Tagh spiegelt sich im glasklaren Wasser des Karakul-Sees. Ein paar Jurten der kirgisischen Minderheit stehen an den Ufern. Bei Kälte verbrennen die Bewohner Yak-Exkremente in den Öfen, um sich zu wärmen. Die atemberaubende Sicht vom See auf das Bergmassiv ist ein sicheres Zeichen dafür, dass man das Schlimmste hinter sich hat. Die Fahrt auf dem legendären Karakorum-Highway (KKH), der Chinas muslimische Provinz Xinjiang mit Pakistans Hauptstadt Islamabad verbindet, ist über viele Stunden eine reine Tortur. Wem nicht schon die zunehmende Höhe zusetzt, dem wird spätestens von der endlosen Schaukelei im dunkelblauen Neunsitzer schlecht. Schier endlos führt der chinesische Teil der Straße durch Baustellen über Schlamm und Geröll. Die 130 Kilometer von Kashgar im Westen Xinjiangs bis zum Postkartenpanorama des Karakul verschlingen sechs Stunden.

Wenn die Natur mitspielt, könnte der KKH im Sommer 2016 fertig werden. Manchmal stoppen starke Regenfälle tagelang die Arbeiten. Für die Bahntrasse von Xinjiang bis hinunter an die Küste des Indischen Ozeans benötigen die Ingenieure noch einige Jahre mehr. Bislang ragen nur Dutzende Brückenpfeiler in die Höhe, die später die Schienen tragen sollen.

Allein der Bau dieses chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridors kostet fast 50 Milliarden US-Dollar. Er ist das Pilotprojekt eines gigantischen Plans zur verkehrstechnischen Verknüpfung von Asien und Europa, die "One Belt, One Road"-Strategie: ein Gürtel, eine Straße. Es ist der Versuch der Wiederbelebung der alten Seidenstraße, die vor 2100 Jahren die Wurzeln der Globalisierung legte. Sie umfasst einerseits die Landwege durch Zentralasien bis nach Europa und andererseits die maritime Kooperation von Anrainerstaaten wichtiger Seewege.

Ausgeheckt wurde der Plan in Peking. Misstrauisch beäugt wird er in Washington, wo die Chinesen als aufstrebende Wirtschafts- und Militärmacht die Sorge vor künftigen Auseinandersetzungen provozieren. Kritiker werfen China vor, das Land wolle auf Kosten anderer Staaten neue Routen für seine Energieversorgung schaffen und Überkapazitäten seiner Industrien abbauen, ohne dass andere Staaten davon profitierten.

Tatsache ist, dass die Strategie die Chinesen langfristig unabhängig macht vom Blockadepotenzial amerikanischer Realpolitik. Dafür haben sie einen 40 Milliarden-Dollar-Fonds eingerichtet und die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) mit 100 Milliarden US-Dollar Startkapital ins Leben gerufen. Die Bank ist als Gegenmodell der von den Amerikanern dominierten Weltbank gedacht und soll mit Krediten die Baumaßnahmen in vielen Ländern unterstützen.

Die Transitländer fürchten, dass sich China alle Rechte sichert und sie selbst leer ausgehen

Gleichzeitig bauen oder kaufen chinesische Firmen Kraftwerke, Eisenbahnlinien oder Seehäfen in anderen Ländern, um dort die Kontrolle zu übernehmen. Den Tiefseehafen Gwadar in Pakistan betreibt seit einer Weile eine chinesische Firma. Jetzt muss Peking Zweifel ausräumen, dass dort ausschließlich Cargo in die Volksrepublik oder Exporte aus China verfrachtet werden, auch um Vertrauen zu gewinnen in anderen Transitländern. "Wenn den Gastgeberstaaten jegliche Unabhängigkeit bei der Nutzung beispielsweise von Häfen versagt bleibt, dann verstärkt das den Eindruck, die Strategie verfolge nur chinesische Interessen", schreibt Lucio Blanco Pitlo III von der philippinischen Vereinigung der China-Studien im Onlinemagazin The Diplomat. Werden die Gastgeberländer aber integriert, könnte der Handel dort blühen und neue Arbeitsplätze schaffen. Verschlafene Nester wie die alte Königstadt Tashkurgan könnten wieder an Bedeutung gewinnen.

Tashkurgan ist heute der letzte Außenposten der Volksrepublik auf dem Weg nach Zentralasien. Die Stadt ist so wenig chinesisch wie Mallorca deutsch ist. 40 000 Menschen leben hier, die meisten sind Tadschiken. Der Khunjerab-Pass hinüber nach Pakistan ist zwei Autostunden entfernt, Afghanistan und Tadschikistan erreicht man auf dem Rücken eines Pferdes. Die Ruine einer alten Festung erinnert an eine glorreiche Vergangenheit. Vor 2000 Jahren war die Stadt wichtiges Etappenziel für Handelskarawanen aus beiden Richtungen.

Heute riegeln tausende chinesische Soldaten die Grenzregion ab. Sie sollen verhindern, dass vermeintliche islamische Fundamentalisten nach China gelangen, um für die Unabhängigkeit der Provinz Xinjiang zu kämpfen. Es ist ein fragiler Friede, der in der Region herrscht. Peking fürchtet den Separatismus - doch die "One Belt, One Road"-Strategie betrifft Dutzende islamische Staaten aus Afrika, über Zentral- bis Süd- und Südostasien. Die Entwicklung des Wirtschaftskorridors mit Pakistan ist demnach auch ein Test für eine Kooperation der Chinesen mit großen Teilen der islamischen Welt. "China genießt in Nordpakistan einen guten Ruf. Die Pakistani glauben, dass ihnen die Chinesen neue Jobs bringen", sagt Sun Lizhou vom Pakistan Forschungszentrum der Tsinghua Universität in Peking.

© SZ vom 29.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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