Kapitalmarktunion:Mehr Geld, mehr Wachstum

Lesezeit: 3 min

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov / SZ; sz)

Wie die EU kleinen und mittleren Unternehmen neue Finanzierungsquellen eröffnen will und einen besseren Zugang zum Kapitalmarkt.

Von Norbert Hofmann

Das erklärte Ziel der Europäischen Union ist es, aus Vielfalt neue Stärken entstehen zu lassen. Auch das von ihr im Februar angestoßene Projekt einer Kapitalmarktunion setzt auf diesen Effekt. Es soll künftig Unternehmen den Zugang zu einer größeren Zahl von Kapitalquellen erleichtern und damit der Wirtschaft in Europa einen zusätzlichen Wachstumsimpuls geben.

In Deutschland sehen sich Unternehmen mit Finanzierungsangeboten der Banken derzeit zwar gut versorgt. "Der Kreditmarkt ist für den Mittelstand derzeit extrem liquide", sagt Patrik Pohl, Leiter Produkte Mittelstand bei der Deutschen Bank. Doch die Bankenregulierung nach Basel III wird bis 2019 den finanziellen Spielraum der Kreditinstitute zunehmend einengen. Bei der Kapitalmarktunion - für die ebenfalls bis 2019 die Basis geschaffen sein soll - geht es deshalb auch nicht allein darum, bessere Bedingungen für Börsengänge oder Anleiheemissionen zu schaffen. EU-weite Regeln sollen dafür sorgen, dass der Kapitalmarkt und der Bankensektor im Gleichschritt an Finanzierungskraft gewinnen.

Eine der wichtigsten Initiativen dazu ist die Wiederbelebung des Marktes für Verbriefungen. Ausgerechnet jener Wertpapiere also, in denen die Risiken US-amerikanischer Wohnimmobilienkredite versteckt wurden und die als Verursacher der Finanzkrise gelten. "Der Verbriefungsmarkt ist besser als sein Ruf", betonte kürzlich Andreas Dombret, Vorstand der Deutschen Bundesbank. Ein internationaler Standard für einfache, transparente und standardisierte Verbriefungen könne das Vertrauen in diese Instrumente zurückbringen. "Ziel ist es, dass die Investoren die Risiken dieser Papiere richtig einschätzen und ein geringes Ausfallrisiko tragen", sagt Christoph Kaserer, Professor für Finanzmanagement und Kapitalmärkte an der TU München. Die Verbriefungen könnten auf die Bündelung unterschiedlichster Risiken wie etwa Autofinanzierungen oder Handelsforderungen bis hin zum Mittelstandskredit ausgerichtet sein. "Würden die Mittel dafür auf den Kapitalmärkten mobilisiert, hätten die Banken mehr Liquidität für zusätzliche Kredite frei", sagt der Wissenschaftler. Voraussetzungen sind allerdings liquide Kapitalmärkte.

Die EU will das Insolvenz- und Steuerrecht vereinheitlichen

Die EU sieht auch dafür Maßnahmen vor. Sie zielen etwa auf eine Vereinheitlichung des Insolvenzrechts ab. Wenn Anleger nicht mehr mit länderspezifischen Unterschieden für den Fall der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners rechnen müssen, fällt ihnen ein Investment leichter als bisher. Ebenso könnten einheitliche Steuerregeln die länderübergreifende Investitionsbereitschaft fördern. Zwar soll es in der EU schon jetzt keine Doppelbesteuerung geben. "In der Praxis aber müssen noch immer viele Hürden überwunden werden, ehe es zu einer Rückerstattung der Quellensteuer kommt", sagt Kaserer. Und wie sieht es mit dem besseren Zugang des Mittelstands zur Aktienfinanzierung aus?

Nach den Plänen der EU könnten weniger strenge Prospektpflichten den Gang an die Börse erleichtern. So sollen Unternehmen künftig ohne Börsenprospekt bis zu 50 Millionen Euro statt bisher bis zu zehn Millionen Euro Kapital aufnehmen dürfen. Bis zu einem Börsenwert von 200 Millionen Euro sind zudem vereinfachte Prospektpflichten vorgesehen. "Das Erstellen von Börsenprospekten ist für den Mittelstand durchaus mit erheblichem Aufwand verbunden", sagt Experte Pohl von der Deutschen Bank. Zu begrüßen sei, dass die EU auch im Anleihesegment Vereinfachungen bei der Prospektpflicht anstrebt. Andere Marktkenner ärgern sich dagegen darüber, dass ausgerechnet jetzt neue Vorschriften für neue Hemmnisse sorgen. Andreas Schmidt, Vorstand der Bayerischen Börse AG, sieht etwa die Mitte nächsten Jahres greifende Marktmissbrauchsrichtlinie im klaren Widerspruch zur Kapitalmarktunion. "Ab dann müssen auch Unternehmen des Freiverkehrs - wo sich die Mehrzahl der börsennotierten kleinen und mittleren Unternehmen finden - Ad-hoc-Mitteilungen und Directors' Dealings veröffentlichen sowie Insiderverzeichnisse führen wie schon bisher Dax-Konzerne", sagt Schmidt. Gelänge es jedoch die Kosten eines Börsengangs deutlich zu senken, könnten vielleicht auch Technologie- Start-ups früher den Schritt an die Börse wagen.

Ein größerer europäischer Binnenmarkt für Kapital hätte zudem mehr Anziehungskraft auf Risikoinvestoren. "In einem großen Markt werden Kapitalnehmer und -geber besser zusammengeführt als in einem fragmentierten Markt", sagt Pohl. Die Wirtschaft hegt allerdings keine übertriebenen Erwartungen. So verweist der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) darauf, dass die Börsenfinanzierung auch bei schnell wachsenden Unternehmen erst ab einem gewissen Entwicklungsstadium in Frage kommt.

Die Finanzierung über Aktien führt hierzulande immer noch ein Schattendasein

Zudem gelten für Gründer bei der Kapitalbeschaffung besondere Regeln. "Venture Capital ist ein eher regionales Geschäft, auch im Silicon Valley sind die Investoren relativ nahe an den Start-ups", sagt Ingo Potthof, Geschäftsführer der UnternehmerTUM-Fonds in München. Wichtig seien die steuerlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen. "Wenn aber die Pläne einer europäischen Kapitalmarktunion das Interesse an Wagniskapital fördern, ist das auch hilfreich", sagt Potthof.

Die Finanzierung über Aktien führt in der deutschen Wirtschaft insgesamt noch immer ein Schattendasein. Laut der Beratungsgesellschaft Capmarcon sind in den ersten neun Monaten dieses Jahres zwar die Volumina von Krediten sowie die von Anleihe- und Schuldscheinfinanzierungen gestiegen. Die Kapitalbeschaffung über Aktien aber kommt nicht in Schwung. Doch das kann noch werden. "Im Sinne der von der EU angestrebten nachhaltigen Finanzierung sollte auch der deutsche Mittelstand offen sein für eine größere Vielfalt der Finanzierungsquellen", sagt Pohl.

© SZ vom 10.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: