Kapitalflucht in China:Einfach raus

Lesezeit: 4 min

Nirgendwo sind Bitcoins so beliebt wie in China: Immer mehr Bürger nutzen das digitale Geld, um ihr Vermögen ins Ausland zu schaffen. Dies hat die Regierung auf den Plan gerufen.

Von Christoph Giesen und Jan Willmroth, Frankfurt/Peking

Wer die Unsicherheit vieler Anleger in China in einer einzigen Grafik sehen möchte, muss sich nur den Verlauf der Digitalwährung Bitcoin ansehen. Es war kurz Weihnachten, als der Kurs auf einmal rasant zu steigen begann, von unter 800 Dollar erreichte die digitale Münze am 5. Januar einen neuen Rekordstand. Zwischenzeitlich war sie 1130 Dollar wert - jetzt ist sie binnen weniger Tage wieder abgestürzt, auf nur noch gut 800 Dollar. Alleine am Mittwoch sackte der Kurs noch einmal um 15 Prozent ab. Der Grund: eine knappe Mitteilung der chinesischen Zentralbank. Demnach haben Beamte die Büros von Bitcoin-Handelsplattformen in Peking und Shanghai durchsucht. Ziel sei es herauszufinden, ob die Plattformen die Auflagen für den Devisentausch sowie im Kampf gegen Geldwäsche und Finanzrisiken einhalten.

In den vergangenen Monaten ist die Digitalwährung zunehmend zum Spekulationsobjekt chinesischer Anleger geworden. Über das Wohl und Wehe entscheidet jetzt die strenge chinesische Notenbank - und mit ihr Chinesen, die äußerst kreativ werden, wenn es darum geht, ihr Vermögen ins Ausland zu bringen.

Erschaffen wurde die wohl bekannteste und am häufigsten genutzte Digitalwährung im Finanzkrisen-Jahr 2008: Ein Software-Entwickler, der sich Satoshi Nakamoto nannte, veröffentlichte damals ein Papier, in dem er auf neun Seiten das technische Prinzip hinter den digitalen Münzen skizzierte. Stark vereinfacht funktioniert es so: Kauft jemand etwas per Bitcoin und überweist den Betrag aus seiner virtuellen Geldbörse in eine andere, wird jede Zahlung in einem öffentlichen Register namens Blockchain aufgezeichnet; jede einzelne Münze lässt sich bis zum Zeitpunkt ihrer Entstehung zurückverfolgen und jede Überweisung bleibt gespeichert. Etwa alle zehn Minuten entstehen derzeit 12,5 neue Bitcoins. Die Gesamtmenge der virtuellen Münzen ist auf 21 Millionen Stück beschränkt.

Chinas neue Mittelklasse ist auf Luxus und Statussysmbole aus - und viele Menschen suchen nach Wegen, ihr Geld im Ausland zu sichern. (Foto: Wang Luxian - Imaginechina)

So sollte ein System entstehen, das sich der staatlichen Kontrolle entzieht und Transaktionen von Nutzer zu Nutzer ermöglicht, ohne den Umweg über Banken und Zahlungsdienstleister. Keine Notenbank, keine staatliche Institution reguliert das System, auch in China wird es - bislang - nicht überwacht.

Die chinesische Führung versucht seit Jahren, die Kapitalflucht zu verhindern - ohne Erfolg

Aktuell sind Bitcoins im Wert von etwa 12,9 Milliarden Dollar Umlauf. Der tatsächliche Nutzen ist nach wie vor begrenzt: Bis auf Verkaufsautomaten in Japan und auf Hacker-Messen, einigen Pubs und Cafés in Großbritannien oder Händler in zwielichtigen Bereichen des Internets akzeptiert kaum jemand das digitale Geld. In Deutschland gibt es eine Handvoll Geschäfte und Online-Händler, bei denen Kunden mit Bitcoins zahlen können.

Deshalb ist auch umstritten, worum es sich bei Bitcoin und anderem Digitalgeld eigentlich handelt. "Das kommt sehr darauf an, wen man fragt", sagt Florian Glaser, der an der Frankfurter Goethe-Universität Blockchain-Systeme erforscht. "Nutzer aus der Szene würden sagen, es sei eine neue Währung. Zentralbanken sind da differenzierter, sie sprechen höchstens von Vertragsgeld." So beschrieb die Europäische Zentralbank Digitalwährungen in einem 2015 erschienenen Weißpapier als "virtuelle Darstellung eines Werts, der... unter bestimmten Umständen als Alternative zu Geld genutzt werden kann."

1 / 2
(Foto: SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg)

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg

2 / 2
(Foto: SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg)

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg

Aus Bitcoins lässt sich allerdings relativ leicht wieder herkömmliches Geld machen: An speziellen Börsen tauschen Nutzer ihre virtuellen Münzen in andere Währungen. Mehr als 90 Prozent des weltweiten Handelsvolumens findet in China statt, die dortigen Bitcoin-Handelsplätze sind die größten der Welt. Und dort wird die Geschichte in diesen Tagen geschrieben. Die Bitcoins sind hier Teil der ganz großen Politik geworden.

Seit einigen Jahren versucht die chinesischen Führung, die Kapitalflucht einzudämmen. Die neue Mittelklasse möchte ihr Geld lieber sicher im Ausland wissen, zumal es in der Volksrepublik - abgesehen vom völlig frei drehenden Immobilienmarkt - kaum Anlagemöglichkeiten gibt. Wie gewaltig diese Geldflucht ist, kann man einmal monatlich sehen, wenn die Zentralbank in Peking den aktuellen Stand der Devisenreserven bekannt gibt. Im Juni 2014 waren Chinas gehortete Fremdwährungen mit etwa vier Billionen Dollar der mit Abstand größte Devisenschatz der Welt. Um mehr als 900 Milliarden Dollar ist der Betrag seitdem abgeschmolzen, weil die Chinesische Volksbank versucht mit Stützkäufen die eigene Währung zu stabilisieren, die durch das abgeflossene Kapital unter Druck geraten ist. Das meiste Geld ist aufgrund von manipulierten Im- und Exportzahlungen außer Landes geschafft worden. Seit 2012 dürften so knapp zwei Billionen Dollar die Volksrepublik verlassen haben, schätzen Ökonomen. Bislang ging das recht einfach: Ein Unternehmen bestellt zum Beispiel Waren im Wert von 15 Millionen Dollar in Europa, geliefert werden allerdings nur Güter für zehn Millionen, der Rest des Geldes landet auf einem Konto im Ausland. Um das zu verhindern, müsste man jedes Schiff, jeden einzelnen Container überprüfen und den realen Wert der Waren kennen, oder man verschärft die Devisenkontrollen erheblich. Dafür hat sich Peking entschieden. Seit Ende November dürfen Unternehmen nur noch fünf Millionen Dollar ohne Genehmigung ins Ausland überweisen. Ein anderes Schlupfloch wurde einen Monat zuvor geschlossen, bis dahin konnte man mit einer chinesischen Kreditkarte in Hongkong Lebensversicherungen in Millionenhöhe abschließen. Um 160 Prozent stiegen die Umsätze der Versicherer im Vergleich zum Vorjahr. Natürlich wurden nicht auf einmal so viele Policen benötigt, aber man konnte sie als Sicherheit für einen Bankkredit hinterlegen - 80 Prozent bekam man ausbezahlt. Seitdem die Regierung damit angefangen hat verstärkt, gegen die Kapitalflucht vorzugehen, kursieren täglich neue Gerüchte in China. Bitcoins, hieß es, sei eine Möglichkeit, Geld außer Landes zu schaffen. Aus chinesischen Yuan können schließlich über den digitalen Umweg Dollar und Euro werden. Jetzt geht aber die Angst um, dass der Staat wieder eingreift. Wird die Notenbank ein Exempel statuieren? Insgesamt geht es um 12,9 Milliarden Dollar. So viel Geld geht mit Im-und Exportbetrügereien manchmal in einer Woche verloren.

© SZ vom 13.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: