Kannegiesser:"Kapitän kann nicht jedes Manöver diskutieren"

Lesezeit: 3 min

Die Gewerkschaften fordern eine stärkere Beteiligung der Mitarbeiter am Kapital. Doch das gefährdet die Unabhängigkeit der Unternehmer.

Martin Kannegiesser

Die alte Debatte über eine Kapitalbeteiligung der Mitarbeiter an ihrem Unternehmen hat durch die jüngsten Vorstöße der IG Metall neue Nahrung erhalten. Es ist deshalb ratsam, sich die Vor- und Nachteile dieses Modells zu vergegenwärtigen. Grundsätzlich kann eine Kapitalbeteiligung positive Wirkung für alle Beteiligten entfalten: Die Arbeitnehmer identifizieren sich stärker mit ihrem Unternehmen und sind motivierter, in den Betrieben entsteht eine Kultur der Transparenz und des Miteinanders.

Außerdem erhalten die Arbeitnehmer die Chance, am Vermögenszuwachs zu partizipieren und einen Teil ihres Einkommens aus Kapitaleinkünften zu beziehen, sich also neben dem Arbeitsentgelt ein zweites Standbein aufzubauen. Auch betriebswirtschaftlich bietet die Kapitalbeteiligung Vorteile: Sie verbessert die Liquidität des Unternehmens und erhöht je nach Ausgestaltung die Eigenkapitalquote. Kapitalbeteiligung kann also für alle ein Gewinn sein.

Diese positive Bewertung vermittelt allerdings ein zu idealistisches Bild. Wenn die Kapitalbeteiligung so universell vorteilhaft wäre, hätten nicht nur knapp 4300 Unternehmen ihre Mitarbeiter über stille Beteiligungen, Belegschaftsaktien, Darlehen, Genussrechte, Genossenschafts- und GmbH-Anteile beteiligt, sondern fast alle der insgesamt rund 3,5 Millionen Betriebe in Deutschland - es hindert sie ja niemand daran.

Die Zahl ist trotzdem sehr begrenzt. Das zeigt schon, dass sich das Instrument der Kapitalbeteiligung nicht für jedes Unternehmen und jede Rechtsform eignet. In der Regel kommt eine Beteiligung nur für Unternehmen von überschaubarer Größe und mit einer relativ stabilen Belegschaft in Frage. Warum dies?

Wird ein Unternehmen zu groß und anonym, schwindet tendenziell die Identifikation der Arbeitnehmer. Mag auch das Betriebsklima hervorragend sein und der Arbeitgeber sonst alles richtig machen - die Kapitalbeteiligung dürfte in solchen Fällen dennoch eher den Charakter einer Finanzanlage besitzen, die man bei attraktivem Kurs wieder gewinnbringend veräußert. Verfügt ein Unternehmen nicht über eine ausreichend stabile Belegschaft, ist also die Fluktuation hoch, kann die Kapitalbeteiligung ebenfalls nicht ihren Zweck erfüllen, die Mitarbeiter an die Firma und deren langfristiges Wohlergehen zu binden.

Problematisch kann die Kapitalbeteiligung auch für kleine und mittlere Familienunternehmen werden. Hier ist gerade der Wunsch nach Unabhängigkeit die entscheidende Triebfeder für das Engagement der Eigentümer. Wenn nun durch die Beteiligung die Mitsprache der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter überdehnt wird, ist diese Unabhängigkeit gefährdet. Dem Mittelständler fehlt dann die Antriebskraft, sein Interesse am Unternehmen - und damit auch an den Arbeitsplätzen - erlahmt.

Die Kapitalbeteiligung muss aber nicht nur die Unabhängigkeit des Unternehmers wahren; auch der Arbeitnehmer muss frei über sein Vermögen verfügen dürfen. Dies ist freilich in der Variante, die die IG Metall propagiert, nicht erkennbar. Die Vorstellungen der Gewerkschaft haben offenbar ihren Ursprung im Zwang, auf Tarifbestandteile verzichten zu müssen.

Natürlich ist nachvollziehbar, dass die Arbeitnehmer als Gegenleistung für solche Zugeständnisse eine Sicherheit haben wollen. Diese Sicherheit aber kann ihnen nur ein zukunftsfähiger Arbeitsplatz bieten, nicht ein aus der Not geborenes Wertpapier. Ein sicherer Job ist ihnen tausendmal wichtiger als eine Beteiligung im Wert von ein paar hundert Euro. Beides zusammen kann es nicht geben; die Arbeitnehmer können sich ihre Zugeständnisse nicht doppelt bezahlen lassen.

Auch wäre es gefährlich, die Anteile, wie von der IG Metall vorgeschlagen, in einem Fonds zu bündeln, den die Gewerkschaft verwaltet. Den Arbeitnehmern würden damit ihre Rechte aus ihrer Beteiligung vorenthalten - ein eigentümliches Verständnis von (Wirtschafts-)Demokratie.

Die Folge wäre eine schleichende Politisierung von betrieblichen Entscheidungen mit der Gefahr einer Verfilzung. Wir dagegen wollen transparente, dezentrale und autonome Entscheidungen sowie eine Vielfalt an Modellen, die dem Prinzip Haftung und Verantwortung folgen. Das alles wäre mit einem solchen Fonds nicht vereinbar.

Bei einer nüchternen Abwägung der Möglichkeiten und Grenzen einer Kapitalbeteiligung zeigt sich also: Das Risiko, dass die erhoffte positive Wirkung ausbleibt, ist groß. Wenn sich ein Unternehmen in einer Phase der tiefgreifenden Neuausrichtung befindet, wenn Geschäftsfelder komplett geschlossen und andere neu eröffnet werden, muss ein Unternehmer frei agieren können; eine Mitarbeiterbeteiligung wäre hier nur hinderlich und würde den Betrieb manövrierunfähig machen.

Deshalb habe ich mich im eigenen Unternehmen gegen eine Kapitalbeteiligung entschieden: Sie eignet sich eher für ruhiges Fahrwasser. In rauer See und bei stürmischem Wetter ist rasches und entschiedenes Handeln angesagt; da kann der Kapitän nicht erst jedes Manöver mit der Mannschaft diskutieren.

Natürlich ist nicht nur vorstellbar, sondern auch wünschenswert, dass Kapitän und Mannschaft Hand in Hand arbeiten. Das setzt aber voraus, dass sie beide das gleiche Ziel haben und es auch auf dem gleichen Kurs erreichen möchten.

Das dafür nötige kooperative Miteinander müssen wir erst noch lernen, dieser Lernprozess ist noch nicht abgeschlossen. Solange wir aber hier keine gemeinsame Basis haben, ist an Modelle der Kapitalbeteiligung, wie sie der Gewerkschaft vorschweben, überhaupt nicht zu denken. Denn darin sollen sich die Arbeitnehmer gerade nicht wie unternehmerisch denkende Eigentümer verhalten, sondern bloß die Rechte und Entscheidungsmöglichkeiten der Eigentümer beschnitten werden. Ohne diese Rechte aber kann es kein unternehmerisches Wirken geben.

Deshalb müssen wir unsere bewährte Aufgabenteilung so lange beibehalten, bis auch die Arbeitnehmerseite volle Verantwortung für das langfristige Wohlergehen des Betriebs übernimmt, mit allen Chancen und Risiken: Entscheidung ohne Haftung sieht unsere Wirtschaftsordnung nicht vor. Wir können einander ergänzen, aber nicht ersetzen. Anstelle der freiwilligen Kapitalbeteiligung, die auch künftig unverändert möglich ist, setzen wir deshalb lieber auf Modelle der Erfolgsbeteiligung. Hierfür gemeinsam Modelle zu entwickeln, darin sollte unser Ehrgeiz als Tarifparteien liegen.

© SZ vom 16.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: