Kanada sucht deutsche Handwerker:Neuer goldener Boden

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Kanadier schicken ihre Kinder lieber auf die Hochschule, nun werden Handwerker dringend gesucht. Besonders begehrt: Fleißige und zuverlässige Fachkräfte aus Deutschland.

Bernadette Calonego

Daniel Arndt kann manchmal gar nicht fassen, wie sehr er in Kanada als Handwerker geschätzt wird. "Jeden zweiten Donnerstag bekomme ich meinen Scheck, und jedes Mal bedankt man sich bei mir, dass ich so pünktlich bin", sagt er. Der 29-jährige Fußbodenleger aus der Kleinstadt Güstrow südlich von Rostock ist im vergangenen Oktober mit seiner Familie nach Vancouver Island gezogen. Handwerker wie ihn suchen kanadische Firmen verzweifelt. "Die brauchen Leute, es ist der Wahnsinn", sagt Arndt.

Glücklich in Kanada: Familie Arndt hat den Umzug nicht bereut. (Foto: Foto: oh)

Vor allem in den boomenden Westprovinzen Alberta und British Columbia, aber auch in Manitoba und Saskatchewan fehlen gut ausgebildete Facharbeiter. "Es haben uns schon kanadische Arbeitgeber kontaktiert, die 300 Leute brauchten, um eine Brücke zu bauen", sagt Sabine Seidler von der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) in Bonn, die Deutschen bei der Stellensuche im Ausland hilft.

Handwerksberufe verschmäht

Seidler erzählt, dass jüngst der Arbeitsminister von Alberta, Hector Goudreau, die ZAV besuchte. Bis Ende 2009 muss er 50.000 Fachkräfte für die Erdölprovinz auftreiben. "Kanadische Arbeitgeber schätzen die Deutschen, weil sie pünktlich, ordentlich, fleißig und zuverlässig sind", sagt Seidler. Die ZAV hat im vergangenen Jahr 226 Handwerker nach Kanada vermittelt. Für Akademiker stehen die Chancen nicht so gut.

Daniel Arndt hatte 2007 ein Stellenangebot als Fußbodenleger im Internet entdeckt und bekam schon nach drei Tagen den Bescheid, dass die Firma ihn haben wollte. Nach fünf Monaten und einigem Papierkram fand er sich mit Partnerin und zwei Kindern in Victoria, der Hauptstadt von British Columbia.

Heute arbeitet er bei der Firma Liesch Interiors und verdient umgerechnet etwa 2000 Euro im Monat. Die Freundin, die in Deutschland arbeitslos war, fand sofort eine Stelle bei der Restaurantkette Tim Hortons und verdient dort 760 Euro. In Güstrow, sagt Arndt, musste die Familie von 1300 Euro im Monat leben. Die Dreizimmerwohnung in Victoria kostet 760 Euro. "Wir können uns hier mehr leisten und sparen trotzdem noch", sagt Arndt.

Grund für den Mangel an ausgebildeten Handwerkern in Kanada ist nicht nur der Boom in der Bau- und Rohstoffindustrie und die Tatsache, dass sich immer mehr Kanadier schon mit 55 Jahren in den Ruhestand begeben. Die Handwerksberufe sind bei Kanadiern nicht sonderlich begehrt. Die meisten Eltern haben den Ehrgeiz, ihr Kind auf die Universität zu schicken.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum gerade deutsche Handwerker in Kanada so begehrt sind - und wieso es so wichtig ist, gut Englisch zu sprechen.

Laut einem OECD-Bericht haben 2005 etwa 50 Prozent der 25- bis 34-jährigen Kanadier eine Hochschule abgeschlossen. "Viele Eltern wollen, dass ihre Kinder Ärzte oder Anwälte werden", sagt Stephen Bould, Vizepräsident der Bauunternehmer-Vereinigung in der Provinz Ontario. "Sie können sich ihren Sohn einfach nicht als künftigen Zimmermann vorstellen." Mit Werbekampagnen versucht man in Ontario, diese Einstellung zu ändern und Berufslehren attraktiver zu machen.

Die wenigsten Arbeitskollegen von Daniel Arndt können so etwas wie einen Gesellenbrief vorweisen. "Die Kanadier sind ziemlich verwöhnt", sagt er, "die kommen und gehen, gerade wie es ihnen passt." Vor allem junge Leute zeigten keine große Lust. Die wüssten, dass sie gleich wieder eine Stelle kriegen. So arbeitet Daniel Arndt mehr als die üblichen 40 Stunden pro Woche, aber das stört ihn nicht. Am Wochenende kann er mit der Familie wandern oder an den Strand gehen.

80.000 Stellen im Tourismus zu besetzen

Um nicht nur dem deutschen Handwerker, sondern auch seiner Partnerin eine Arbeitsstelle zu ermöglichen, arbeiten die Bau- und die Tourismusindustrie in British Columbia zusammen. Im Tourismus müssen bis zum Jahr 2015 über 80.000 Stellen besetzt werden. So zog die 29-jährige Veronika Hoffmann im Tandem mit ihrem Mann Heiko, der bei der Baufirma PCL eine Stelle als Maurer bekam, im vergangenen Jahr nach Kanada. Sie arbeitet als Reiseverkehrsfachfrau bei der Firma Rocky Mountaineer Vacations, genauso wie die 29-jährige Heike Blankermann aus Wuppertal.

Obwohl Blankermann studierte Betriebswirtin ist, nahm sie die Stelle sofort. "Für mich zählt die Lebensqualität", sagt sie, "und die ist für mich hier viel höher." Das Arbeitsklima sei toll und der Umgang nicht so steif wie in Deutschland. Ihr Freund fand in Vancouver sofort eine Stelle als Programmierer.

Gute Englischkenntnisse sind wichtig

"Die Deutschen sind wegen ihrer Arbeitsmoral und ihrer guten Ausbildung begehrt", sagt Regina Brodersen, Personalchefin beim Dachverband der Bauindustrie in British Columbia. Sie hat in den vergangenen zwei Jahren etwa hundert deutsche Handwerker an Baufirmen vermittelt, vor allem Zimmerleute, Dachdecker und Maurer, dazu einige Schreiner, Elektriker und Straßenbauer. Allein in dieser Provinz werden in der Bauindustrie in den kommenden acht Jahren bis zu 40.000 Arbeiter fehlen. Für deutsche Bewerber sei der Gesellenbrief allerdings unabdingbar. "Die Leute sollten auch vorhaben, länger zu bleiben", sagt Brodersen.

Sabine Seidler von der ZAV betont, dass gute Englischkenntnisse sehr wichtig seien: "In manchen Handwerksberufen muss man in Kanada nochmals eine Prüfung auf Englisch ablegen." Außerdem müssten die Handwerker viel Erfahrung, eine gute Ausbildung und Motivation mitbringen - und Ausdauer. Die neue Umgebung, das Sich-Anpassen an eine andere Kultur und an die Bürokratie seien nicht einfach, sagt Seidler: "Das ist kein Spaziergang."

Daniel Arndt hat seinen Entschluss, nach Kanada zu kommen, nicht bereut. Er will für immer hier bleiben, wenn alles so gut läuft wie bisher. Die Kinder würden bereits besser englisch sprechen als er, sagt Arndt: "Meine Erwartungen wurden übertroffen."

© SZ vom 05.07.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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