Kampf um den Brief:Das Postamt und die Welt

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Die Post muss Geld verdienen. Das heißt aber nicht, dass Briefe nur fünf Tagen ausgetragen werden sollten.

Ulrich Schäfer

Die Post zählt, ähnlich wie die Bahn und die Telekom, zum unternehmerischen Inventar des Landes. Und sie bietet, ähnlich wie diese, immer wieder Anlass zur Klage.

(Foto: Foto: ddp)

Schon Kurt Tucholsky wusste davon zu berichten. "Mein Postamt", schrieb er 1920 unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel, "hat zwei Türen, zwei kleine, braune Türen. Wenn Du eine Weile vor diesem Postamt steht, so siehst Du folgendes: Viele Leute gehen auf die linke Tür zu, rütteln an ihr, geben sie missmutig auf und schlurchen durch die andere. Eine ist immer zu."

Tucholsky argwöhnte, dass es Beamte seien, die die Tür verriegeln, um ihre Macht zu demonstrieren - "weil das Postamt nicht dazu da ist, damit wir unsere Briefe und Postanweisungen aufgeben, sondern damit die Beamten regieren können".

Heutzutage regieren bei der Post keine Beamten mehr, sondern angestellte Manager. Sie hießen früher Klaus Zumwinkel und heute Frank Appel. Sie regieren ein Unternehmen, dessen Belegschaft Jahr für Jahr schrumpft - und das doch zugleich wachsen will.

Stark verschätzt

Sie erledigen einen öffentlichen Auftrag, der im hinteren Teil des Grundgesetzes steht und sich "Grundversorgung" nennt - und sie dienen zugleich einer Macht, die sich schwer fassen lässt: den internationalen Kapitalmärkten. Diese Märkte, die in Wahrheit aus Tausenden Banken, Hunderttausenden Fonds und Millionen Anlegern bestehen, spielen verrückt, sie erleben die schwerste Krise seit acht Jahrzehnten. Und deshalb geschehen auch bei der guten alten Post, die sich heute hochtrabend Deutsche Post Worldnet nennt, seltsame Dinge. Aber nicht nur deswegen.

Die Finanzkrise führt dazu, dass Unternehmen weniger Waren mit dem Laster oder Flugzeug versenden, weniger Zulieferteile, weniger Pakete, gerade auch in den USA. Und deshalb braucht die Post dort weniger denn je einen Ableger namens DHL. Dieser wurde vor einigen Jahren für 2,4 Milliarden Euro gekauft und sollte das Tor öffnen zu einem wahrhaft weltumspannenden Netz, zu einem Worldnet - nun wird DHL, weil die Herren Manager sich verschätzt haben, zusammengestutzt. Die Post streicht dazu in den USA fast 15.000 Stellen und macht ihr zentrales Flugzeug-Drehkreuz in Wilmington dicht, einem Nest im Bundesstaat Ohio.

Eigentümliche Idee

Es gibt auch hierzulande viele kleine Wilmingtons, aus denen sich die Post verabschiedet. Wer allerdings im Bonner Post-Tower auf die eigentümliche Idee kam, Briefe künftig möglicherweise nur noch an fünf, statt an sechs Tagen zu verteilen, der kann sich nicht mit der globalen Krise herausreden.

Er sollte schlicht einräumen, dass er vergessen hat, was die Post einmal war: ein vom Staat gegründetes Unternehmen, welches den Menschen täglich die guten und die schlechten Nachrichten des Lebens überbringen sollte, die Briefe von den lieben und nicht ganz so lieben Verwandten, die Heirats-, Geburts- und Todesanzeigen, die Rechnungen und Urkunden. Der Postbote lieferte neben den Briefen auch noch gratis die jüngsten Gerüchte aus dem Dorf oder der Stadt hinzu.

Der Postzusteller heute hat für solche Dinge kaum Zeit, er arbeitet für ein Unternehmen, das einer roadmap to value folgt, einer Straße der Wertsteigerung, "die auf eine verbesserte Profitabilität und Cash Generierung im gesamten Konzern" abzielt. Der moderne Postbote, der mit dem Fahrrad bei Wind und Wetter unterwegs ist, in diesen Wochen wieder mit übervollen Taschen, ist froh, wenn er sein Tagwerk in der vorgesehenen Zeit erledigen kann. Das gilt auch für den Schalterangestellten, der an einem Adventssamstag allein in einem Postamt in - sagen wir - Oberhaching sitzt, während zwanzig Kunden anstehen.

Postämter, dies ist die bittere Wahrheit, generieren oft keinen Cash, sondern sie kosten Cash. Aber die Väter des Grundgesetzes haben ganz gewiss nicht daran gedacht, Bares zu generieren, als sie den Auftrag zur Grundversorgung in Artikel 87f der Verfassung hineinschrieben; sie wollten sicherstellen, dass niemand von der Welt abgenabelt wird, nur weil er am Ende der Welt lebt.

Diesen Auftrag hat ein Vorstand der Post vor zwei Jahren mal als einen "Anachronismus" aus vergangenen Behördenzeiten bezeichnet. Richtig daran ist: Die Post ist keine Behörde mehr, sondern eine Aktiengesellschaft. Richtig ist auch: Die Menschen schreiben heute weniger Briefe und Postkarten als früher; nur die Flut der Werbebriefe steigt unentwegt. Und ganz sicher kann die Post es sich nicht leisten, in jedem Dorf ein Postamt vorzuhalten; dies kann der Bäcker oder Schreibwarenhändler erledigen - zumal dessen Öffnungszeiten weitaus kundenfreundlicher sind.

Aber es wäre ein noch größer Anachronismus, wenn der Postbote aus Kostengründen nur noch an fünf statt an sechs Tagen in der Woche käme. Oder wenn Sendungen tagelang liegen blieben, weil Personal fehlt - und dies ausgerechnet in einer Zeit, in der Nachrichten (und Briefe sind Nachrichten) rund um die Uhr verbreitet werden.

Die Post sagt nun, ihre Überlegungen seien so nicht gemeint. Und vielleicht hat sie, als sie diese aufschrieb, ja auch insgeheim an Tucholsky gedacht: "Weil das Amt zeigen muss, dass es auch noch auf der Welt ist."

© SZ vom 09.12.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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