Kampf dem Nestlé-Konzern:Frau Zhu und ihre Bewegung

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Weil ein Kakaopulver keinen Hinweis auf gentechnisch veränderte Organismen trug, verklagt eine Chinesin den Nestlé-Konzern - und möchte ihm eine Lektion erteilen.

Von Janis Vougioukas

Frau Zhu kaufte den Kakao für ihren Sohn, eine gelbe Packung mit fröhlichem Hasenbild. Kakao ist nahrhaft, dachte sie, Milch auch nicht ungesund. Ihr Sohn ist dreieinhalb Jahre alt, sie hat ihn Zhongyi genannt - "Chinas Nummer eins".

Das Schokoladenpulver machte Zhu Yanling zu einer Kämpferin. Sie, die Businessfrau, die Marketingmanagerin bei China Merchants Fund. Es war ein Donnerstagabend im März, als Frau Zhu für die wöchentlichen Familieneinkäufe in den Supermarkt fuhr. Sie kaufte Reis, Brot, Wein und das Schokopulver Nesquik von Nestlé.

Hohe Ansprüche

Zhu vertraute den ausländischen Marken, denn im Westen sind die Ansprüche hoch und die Qualitätskontrollen strikt. Eine Woche später surfte Zhu nach der Arbeit im Internet und landete zufällig auf der Website einer Umweltorganisation. Dort fand sie eine schwarze Liste über genveränderte Lebensmittel im chinesischen Handel. An siebter Stelle der Aufzählung stand: Nestlé Nesquik.

Auf der Packung mit dem lachenden Hasen hatte von alldem kein Wort gestanden. Frau Zhu fühlte sich getäuscht und entschied sich, den Weltkonzern zu verklagen: Zhu Yanling gegen Nestlé China. Streitwert: 6,8 Yuan für den Kakaotrunk und 6,8 Yuan Schadensersatz, umgerechnet 1,29 Euro. Seit März 2002 sind genetisch modifizierte Lebensmittel in China kennzeichnungspflichtig.

Schwarze Liste

Nach Angaben von Yang Changju, einem Umweltexperten der Pekinger Volksuniversität, besteht diese Kennzeichnungspflicht für Produkte aus 17 verschiedenen Kategorien. Unklar ist, ob auch Kakaopulver darunter fällt. Nesquik war auf die schwarze Liste gelangt, nachdem das deutsche Unternehmen GeneScan - anerkannter Weltmarktführer für molekularbiologische Untersuchungen - im Auftrag von Greenpeace Spuren genetisch manipulierter Zutaten in dem Kakao nachgewiesen hatte.

Nestlé bestreitet das Ergebnis und verweist auf langjährige Kooperation mit vertrauenswürdigen Zulieferbetrieben, welche die Verwendung gentechnik-freier Zutaten garantiert hätten. Vier Labors hätten zudem nachgewiesen, dass Frau Zhus Kakao, der inzwischen versiegelt von der Polizei aufbewahrt wird, keine genetisch veränderten Substanzen enthalte. "Wir sind uns 100 Prozent sicher, nie genmodifizierten Nesquik in China verkauft zu haben", sagt Nestlé-Sprecher Marcel Rubin. "Vielleicht haben die Nestlé-Labors für ihre Untersuchungen schwächere Mikroskope benutzt", sagt Zhu. Sie ist keine Biologin.

Last der Geschichte

Ihr Anwalt Wu Dong verweist auf mehrere Studien, welche die Anklage stützten. GeneScan-Manager Chuk Ng betont, ein Fehler seines Tests sei durch mehreren Wiederholungen auszuschließen: "Die untersuchte Probe enthält mit absoluter Sicherheit modifizierte Zutaten." Das Zweite Mittlere Volksgericht der Stadt Schanghai wird die Wahrheit finden müssen.

Doch aus dem Streit um die Tüte Kakaopulver ist inzwischen eine Stellvertreterschlacht geworden. 1839 erzwangen 16 englische Kriegsschiffe mit 4000 Soldaten die Öffnung Chinas und überfluteten das Reich mit Opium. 1868 gründeten die ausländischen Kolonialherren in Schanghai einen Park, in dem ein Schild am Eingang Chinesen und Hunden den Zutritt verbot. Die Geschichte hat ihre Spuren in der chinesischen Seele hinterlassen.

Friedliches Europa

Nie wieder will sich China vom Ausland ungerecht behandelt fühlen. Zhu hat im Schweizer Luzern Tourismusmanagement studiert. Sie mag Europa, wo es ruhig ist, friedlich und "alles so gut organisiert". Sie weiß, dass Nestlé in Europa versprochen hat, auf den Verkauf genetisch modifizierter Lebensmittel zu verzichten. Für China möchten die Schweizer dieses Versprechen nicht geben, denn grundsätzlich steht Nestlé der Gentechnologie positiv gegenüber.

"Ich sehe nicht ein, warum Nestlé die Chinesen anders behandelt als die Europäer", sagt Zhu. Ein viertel Jahrhundert nach der wirtschaftlichen Öffnung der Volksrepublik sind die Konsumenten selbstbewusster geworden - und ihr Ärger hat bereits mehrere ausländische Konzerne in Unruhe versetzt.

Schlechter Mercedes

Im Dezember 2001 ließ ein Geschäftsmann namens Wang Sheng aus der Provinzmetropole Wuhan seinen Mercedes von sieben kräftigen Männern mit Brecheisen und Vorschlaghämmern zertrümmern - selbstverständlich im Beisein der amüsierten chinesischen Presse. Der Wagen sei immer wieder kaputt gegangen, der Kundenservice zu schlecht, Mercedes habe sich geweigert, das Auto zurückzunehmen, klagte Wang. Die Zeitungen schrieben, Mercedes verletze die Gefühle des chinesischen Volkes.

Ein Jahr davor hatte sich der japanische Elektronikkonzern Toshiba geweigert, chinesischen Kunden einen Schadensersatz für ein eventuell fehlerhaftes Laufwerk zu zahlen. Dann berichteten chinesische Medien, amerikanische Käufer des gleichen Gerätes seien mit insgesamt 1,05 Milliarden Dollar entschädigt worden. Eine Wutwelle schwappte über den Computerhersteller.

Aufgebrachte Kunden

Händler weigerten sich, Produkte des japanischen Konzerns zu verkaufen. Toshiba-Vizepräsident Masaichi Koga reiste extra nach Peking, um aufgebrachte Kunden zu beruhigen. Doch auf einer Pressekonferenz wurde er von chinesischen Journalisten beschimpft und persönlich angegriffen.

Die Schanghaier Kakao-Affäre könnte für Nestlé zu einem ähnlichen Desaster werden - unabhängig davon, ob sich der Konzern rechtmäßig verhalten hat oder nicht. Das zumindest will Zhu: "Ich will eine Lektion erteilen", sagt sie, "Nestlé hat das Recht gebrochen, mein Recht. Jemand muss aufstehen." Yang Ke, Direktorin des chinesischen Verbrauscherschutzverbandes, sieht darin eine grundlegende Wende.

Größter Markt

"Die chinesischen Konsumenten interessieren sich mehr und mehr für ihre Rechte, denn auch die chinesische Gesellschaft entwickelt sich weiter." China ist der größte Lebensmittelmarkt der Welt. Allein Nestlé betreibt dort etwa 20 Fabriken. Vielleicht setzt die Meinung der dortigen Verbraucher bald international Maßstäbe.

Zhu ist eine zierliche junge Frau mit energischem Blick, 33 Jahre alt. Unter ihrem Arm trägt sie eine Notebooktasche, sie schaut oft auf die Uhr. "Ich hätte mir nie vorstellen können, einmal eine Aktivistin zu sein", sagt sie. Inzwischen spricht sie von sich im Plural, immer häufiger sagt sie: "Wir werden", "Wir denken". Zhu, die Anführerin einer kleinen Bewegung.

© SZ v. 24.1.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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