Kaminkehrer:Reine Glückssache

Lesezeit: 3 min

Seit drei Jahren können Hauseigentümer ihre Fachkraft frei wählen - in der Theorie. Doch in der Praxis gibt es kaum Alternativen zum Bezirksschornsteinfeger. Mancherorts sind die Preise stark gestiegen.

Von Benedikt Müller, München

Demnächst wird der Schornsteinfeger wieder klingeln bei Christoph H. Doch der Münchner will ihn diesmal nicht hereinlassen. Zu sehr hat er sich über die gestiegenen Preise geärgert: Hatte der Vorgänger noch 50 Euro für das Kaminkehren verlangt, stehen beim neuen Bezirksschornsteinfeger plötzlich 120 Euro auf der Rechnung. "Abgasrohr prüfen" und "Abgasweg überprüfen" sollen auf einmal zwei getrennte Posten sein. "Das ist doch abenteuerlich", schimpft Christoph H.

Nicht nur er und seine Nachbarn im Münchner Westen ärgern sich über ihren Kaminkehrer: Von Duisburg bis Chemnitz häufen sich Berichte, wonach einzelne Schornsteinfeger die Preise stark erhöht haben, nachdem der Markt vor drei Jahren liberalisiert wurde. Seitdem haben Hauseigentümer theoretisch mehr Auswahl: Sie sind nur noch bei der hoheitlichen Prüfung der Feuerstätten auf ihren örtlichen Bezirksschornsteinfeger angewiesen. Für die Kehrarbeiten können sie dagegen Dienstleister aus ganz Europa beauftragen. Im Gegenzug dürfen die Schornsteinfeger nun die Preise fürs Kaminkehren frei wählen. Konkurrenz werde das Geschäft beleben, war der Gedanke der Liberalisierung.

Doch viele Hauseigentümer finden vielerorts keine freien Schornsteinfeger. Allein Christoph H. hat 20 Kaminkehrer angefragt, und nicht einer hat zugesagt. Sein Eindruck: Schornsteinfeger sind nicht gern auf Dächern unterwegs, die zum Bezirk ihrer Kollegen gehören.

Beim Bund der Energieverbraucher (BdE) kennt man das Problem. "Die Schornsteinfeger machen sich untereinander die Kunden nicht streitig", beobachtet BdE-Vorsitzender Aribert Peters, "und verweigern sich damit dem Wettbewerb nach dem Motto: Im Monopol lebt sich's wohl." Der BdE vertritt die Interessen von Strom- und Gaskunden und ist Mitglied im Verbraucherzentrale Bundesverband. Nach der Liberalisierung hatte der Verein versucht, eine Liste freier Schornsteinfeger aufzustellen. Doch es haben sich nur sehr wenige Anbieter gefunden.

"Die Neuregelung ist zur Goldgrube der Schornsteinfeger geworden", sagen Kritiker

Der Verband Haus und Grund bestätigt, dass die meisten Hauseigentümer ihren Bezirksschornsteinfegern treu geblieben sind. Unmittelbar nach der Liberalisierung hätten die meisten Schornsteinfeger angeboten, neben der hoheitlichen Feuerstätten-Schau die freien Kehrarbeiten gleich mit zu erledigen. Gleichzeitig hätten Handwerksbetriebe wenig Interesse gezeigt, die Kehrarbeiten auszuführen, obwohl auch sie dazu berechtigt wären, heißt es bei Haus und Grund. "Das hängt mit der derzeitig hohen Auslastung der Handwerksbetriebe zusammen." Der Bundesverband des Schornsteinfegerhandwerks schätzt, dass seit der Liberalisierung etwa fünf Prozent der Haushalte in Deutschland ihren Schornsteinfeger gewechselt haben. "Das sind immerhin mehr als eine Million Kunden", sagt Vorstandsmitglied Stephan Langer. Stark sei der Wettbewerb in Ballungszentren wie Berlin, wo auch einzelne ausländische Anbieter auf den Markt getreten sind. "Im ländlichen Raum scheitert der Wechsel vor allem daran, dass Schornsteinfeger aus anderen Bezirken die An- und Abreise in Rechnung stellen müssen", sagt Langer. Viele Hauseigentümer seien aber nicht bereit, 20 oder 30 Euro mehr für den Zeitaufwand der Anfahrt zu bezahlen. Langer bezeichnet die Liberalisierung als großen Erfolg, weil Hauseigentümer nun nicht mehr auf einen einzigen Kaminkehrer angewiesen seien. "Seit der Liberalisierung ist die Zahl der Kunden, die sich über einzelne Schornsteinfeger beschweren, deutlich zurückgegangen", sagt der Verbandsvorstand. Wem die Fahrtzuschläge fremder Kaminkehrer zu hoch seien, dem rät Langer, sich mit Nachbarn zusammenzuschließen. Dann verteilten sich die Kosten für An- und Abreise auf mehrere Kunden.

Adolf-Willi Bloß aus Heroldsberg bei Nürnberg hält das für graue Theorie. Er hat seinem alten Bezirksschornsteinfeger die Zusammenarbeit aufgekündigt und sucht nun seit Monaten nach einem Schornsteinfeger aus einem anderen Bezirk, der ihm seinen Kamin kehren und seine Heizungen prüfen kann. Ein einziger Schornsteinfeger war dazu bereit, verlangte aber 50 Euro zusätzlich für die An- und Abreise. Bloß hält das für Wucher. "Ich habe keine Möglichkeit, die Kehrarbeiten zum Marktpreis ausführen zu lassen", sagt der Hauseigentümer. "Durch die Liberalisierung haben sich meine Ausgaben mindestens verdoppelt."

Gerade ist Bloß dabei, sich bei der Wettbewerbszentrale zu beschweren. Sollte der Hauseigentümer in den nächsten Wochen keinen freien Kaminkehrer finden, droht das Landratsamt damit, den alten Bezirksschornsteinfeger wieder zum Kehren vorbeizuschicken; einer muss die Arbeit ja machen. Die Liberalisierung wäre ad absurdum geführt. Verbraucherschützer Peters berichtet, immerhin nutzten nur wenige Schornsteinfeger auf dem Land ihre Marktmacht aus; die meisten verlangten weiterhin humane Preise. "Das ändert aber nichts an dem strukturellen Missstand." Die meisten Hauseigentümer fänden keine Alternativen auf dem Markt, sagt Peters. "Die Neuregelung ist somit zur Goldgrube der Schornsteinfeger geworden."

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: